: Der vergessene Saal
BAUKULTUR Ein Symbol für das ewige Nicht-fertig-Werden: Die Geschichte des prächtigen Empfangszimmers im Oldenburger Schloss ist eine Provinzposse im besten Sinne
Um sich dieser Tage den Oldenburger Großherzog zurückzuwünschen, muss man kein Monarchist sein. Auch Marxisten oder sonstige Kapitalismuskritiker könnte der Wunsch nach einem energischen Schlossherrn einen, der die gerade eröffneten „Schlosshöfe“ kurzerhand in Schutt und Asche legt. Die potemkinsch-peinliche Shoppingmall beschneidet den öffentlichen Raum und rückt der Oldenburger Residenz ahistorisch eng auf die Fassade. Doch es gibt einen Trost: In seinem Inneren hat das Schloss an Raum gewonnen – genauer gesagt, einen Saal wiederentdeckt, der vergessen vor sich hin dämmerte.
Es ist ein kleiner Saal in der Nordwestecke des verwinkelten Schlosses – also vis-à-vis der „Schlosshöfe“ –, der in gewisser Weise aus der Zeit fiel: Für die ihm zugedachte pompöse Nutzung wurde er vor 170 Jahren nicht rechtzeitig fertig – entsprechend wenig wusste man anschließend mit ihm anzufangen.
Es handelt sich um das so genannte Empfangszimmer des griechischen Königs Otto I. Mit dessen kunstvoller Ausstattung wollte der Oldenburger Großherzog Paul Friedrich August seinen illustren Gast erfreuen: Der Monarch vom Mittelmeer hatte sich in der norddeutschen Provinz eine Braut gesucht, Amalie von Oldenburg, und war in Sachen Baukunst natürlich Besseres gewohnt als die ortsüblichen Backsteinburgen.
Was der Großherzog 1836 in Auftrag gab, gilt heute als eines der beeindruckendsten Beispiele spätklassizistischer Raumkunst in Norddeutschland. 48 Spiegel mit 112 Rosetten verwandelten den ovalen Raum nicht gerade in ein Mini-Versailles, aber doch in eine äußerst elegante Örtlichkeit. Ein gewaltiger weißer Kachelofen erinnert daran, dass man sich dennoch im kühlen Norden befindet. Die Wände sind mit hellem Atlasholz vertäfelt, die Decken-Ellipse ist mit zartem Ziergewächs bemalt, das allerdings zum größten Teil unter einer Grünschicht verborgen bleibt. Sie abzutragen wäre zu risikoreich, sagt Rainer Stamm, da bei der Erstbemalung Schäden zu erwarten seien.
Der gerade nach Oldenburg gekommene Stamm ist als neuer Direktor des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte so etwas wie ein zeitgemäßer Schlossherr. Bei Amtsantritt hat er darauf gedrängt, die Restaurierung des Saals rechzeitig zur Eröffnung der „Schlosshöfe“ fertig zu stellen. Er sehe das, sagt Stamm, „durchaus auch als kulturpolitisches Statement“ – dessen finanzielle Realisierung nichtsdestoweniger mit Hilfe des neuen Einkaufszentrums möglich wurde.
Paul Friedrich August konnte seine Terminvorstellungen seinerzeit nicht so erfolgreich durchsetzen: Beim Eintreffen seines griechischen Schwiegersohns war der Saal noch Baustelle. Und, als er zwei Jahre später endlich fertig war, eigentlich überflüssig. Bei der Abdankung des letzten Oldenburger Fürsten waren die kostbaren Spiegel bereits erblindet, die Museumsleute ließen den Saal als Aktenablage verstauben. Der Ofen lag zuletzt in Einzelstücken im Regal.
Stamm fühlt sich in Oldenburg an Ostdeutschland erinnert: „Es gibt hier eine atemberaubende Bausubstanz“, sagt der Kunsthistoriker, die der Erweckung harre. Schließlich sei in der Innenstadt kaum eine Bombe gefallen.
In der Tat warten in Oldenburg zahlreiche Dornröschen-Orte auf einen Kuss: Etwa der Gertrudenkirchhof, auf dem Dutzende von wertvollen Grabarchitekturen verrotten – eines der Mausoleen wurde gerade nach langem Hin und Her mit Hilfe der „Deutschen Stiftung Denkmalschutz“ vor dem Verfall bewahrt. Den anderen wird wenigstens kein Einkaufscenter auf den Leib rücken. HENNING BLEYL