: Ein anderer Blickwinkel
Grad gestern sprach ich mit U. über Heinz-Rudolf Kunze. Das heißt, ich versuchte über Heinz-Rudolf Kunze zu sprechen, denn U. war der Sänger gänzlich unbekannt. Auch ein kurz angedeutetes „Dein ist mein ganzes Herz“ evozierte kein wiedererkennendes Jubilieren. Da U. die 50 bereits überschritten hat, ist auch ignorante Jugendlichkeit keine Erklärung, und man könnte fast glauben, dass Kunze, als er den Kreuzzug für eine Quote deutschsprachiger „Rock“musik im Radio anführte, mehr als nur das Geschäft im Blick behalten wollte, nein, es ging um seine künstlerische Existenz, es ging um die Möglichkeit, überhaupt noch wahrgenommen zu werden, und darum, ein Publikum, wie klein auch immer, zu haben. Der Albtraum aller Rampensäue: „Mein Gott, es gibt Leute, die haben noch nie von mir gehört!“ Dabei hat er sich immer so viel Mühe gegeben. Die Titelliste allein auf dem Album „Kunze: Macht Musik“ bietet hinreichend urdeutsche Reizworte: Goethe (~s Banjo) und Hitler (Sex mit ~) zum Beispiel. Da muss man doch hinhören! Nee, muss man nicht.
Mal abgesehen von Kunzes fataler Schlagerneigung, die auch durch pseudojazzige oder -rockige Elemente immer wieder durchscheint, gibt es dann ja noch diese Texte. So provinziell mit Bedeutung schwanger gehen wollen die, aber letztlich geben sie doch nur den verklemmten, zufällig auf der Bühne gelandeten Studienrat preis. Der engagiert sich neben dem vernachlässigten Liedgut deutscher Zunge auch für christliche Hilfsorganisationen („World Vision Deutschland“, Katastrophenhilfe und Entwicklungszusammenarbeit).
Mehr als dies“ hieß übrigens die Kirchentagshymne, die Kunze 2005 der Welt schenkte – „Quotenjude“ der Beiname, den er dem Schriftsteller Maxim Biller mitgab (2002). Dazwischen besteht kein weiterer Zusammenhang als Kunzes Urheberschaft. „Ich habe mich da im Ton vergriffen“, ließ er später verlautbaren. Im Ton, nicht in der Sache, versteht sich. Schon viel früher hatte Kunze aufgehört, aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen, und die Deutschlandtrikolore gleich vorne auf das Albumcover von „Wunderkinder“ (1986) drucken lassen. Tja, wie sagt doch der Aphoristiker Heinz-Rudolf Kunze so schön:
Es gibt immer einen Blickwinkel von dem aus betrachtet es um niemanden schade ist.
Manchmal ist das Werk tatsächlich klüger als sein Schöpfer, nicht wahr? Der aktuelle Stand der öffentlichen Selbstentblößung lässt sich am Donnerstag (21 Uhr) in der Kulturbrauerei (Kesselhaus) begutachten. KRT