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Archiv-Artikel

Die versaute Liebenswürdigkeit

HOMMAGE Peter Kern ist der produktivste unabhängige Filmemacher zwischen Wien und Berlin. Das Arsenal zeigt eine Auswahl aus seinem Werk, das sich zwischen Rotlichtmilieu und Kino der Verletzten bewegt

Kerns Kino führt den Betrachter auf den umkämpften „Schauplatz Körper“

VON ANDREAS BUSCHE

„Schauplatz Körper“ lautet der Titel einer kleinen Hommage, die die Filmgalerie 451 und das Kino Arsenal an diesem Wochenende dem österreichischen Regisseur, Schauspieler und Lebemann Peter Kern anlässlich seines 65. Geburtstags widmen. Der Titel klingt auf den ersten Blick reichlich abgegriffen, weil Anspielungen auf seine Körperfülle von jeher zu öffentlichen Äußerungen über Peter Kern gehören. Kern selbst ging und geht immer offensiv mit seinem Gewicht um. In der Dokumentation „Kern“ von Veronika Franz und Severin Fiala sprach er vor zwei Jahren auf seine so unnachahmliche Weise über eine politische Dimension der Adipositas. Fettleibigkeit als Anarchie. „Sich so anzufressen ist ja auch ein Statement für diese Gesellschaft, diese Leck-mich-am-Arsch-Gesellschaft, die von mir will, dass ich schlank und angepasst bin.“ Der Körper ist für Kern ein künstlerischer und damit per se ein politischer Ausdruck. Der Künstlerkörper und der künstlerische Korpus, das Gesamtwerk, sind bei Peter Kern nicht mehr voneinander zu trennen.

Der Titel des Geburtstagsprogramms „Schauplatz Körper“ besitzt also noch eine andere Konnotation, weil die Körper in Kerns Regiearbeiten „Sarah und Sarah“, „Domenica“ und seinem Spielfilmdebüt „Crazy Boys“ nicht nur Austragungsort eines ungezügelten Hedonismus sind (beziehungsweise eine ästhetische Zumutung für die „Leck-mich-am-Arsch-Gesellschaft“ darstellen), sondern immer auch Objekte kapitalistischer Interessen. Weil Kern dieses Paradigma so konsequent wie kein anderer Akteur im deutschsprachigen Kino zum Ausdruck bringt, hat er sich sukzessive aus kommerziellen Zusammenhängen zurückgezogen. Die drei Filme „Crazy Boys“, „Domenica“ und „ „Sarah und Sarah“ vollziehen diese Entwicklung – wohl eher unfreiwillig – nach.

Das weibliche Blickregime

Kerns Regiedebüt von 1987 fiel noch grob in die Kategorie der kommerziellen deutschen Komödie der Achtziger Jahre (Doris Dörries „Männer“, Percy Adlons „Out of Rosenheim“), wartete aber mit einem deutlich komplexeren Gesellschaftsentwurf auf, in dem gesellschaftliche Themen wie Sexarbeit und Ausländerfeindlichkeit locker eingeflochten waren, ohne dabei an Kerns sexuell offenem Hedonismus (hier in seiner Hetero-Variante, aus weiblicher Perspektive) zu rütteln. In „Crazy Boys“ beschließen vier Hamburger Frauen, darunter Marianne Sägebrecht als romantische Zoohändlerin, Barbara Fenner als resolute Barfrau und die umwerfende Angie Stardust als mütterliche Drag Queen, aus Mangel an vernünftigem Männermaterial ein Striplokal zu eröffnen. Sie drehen den Spieß kurzerhand um: Sie stellen die weibliche Jury eines Strip-Wettbewerbs, den besten Kandidaten winkt eine Anstellung.

Im Grunde hat Kern mit dieser Idee das weibliche Blickregime aus Soderberghs „Magic Mike“ um gut 30 Jahre vorweggenommen. Sein Film war mit seinem losen Mundwerk und dem schönen hanseatischen Idiom aber auch eine liebevolle Reminiszenz an das Rotlichtmilieu auf St. Pauli. Dass der deutsche Kinomarkt mit solch einer hemmungslos distanzlosen, gleichzeitig unverhohlen versauten Liebenswürdigkeit schon damals fremdelte, bekam Kern (der einen Kurzauftritt als Barkeeper Fatty hat) zu spüren. Der Verleih hielt den Film zurück und die deutsche Filmlandschaft war um ein schönes Stück Gegenwartskino ärmer.

„Domenica“ wirkte sechs Jahre später schon wie ein Rückzug in die Privatinteressen eines rigorosen Filmverrückten. Die ehemalige Prostituierte und spätere Sozialarbeiterin im Hamburger Rotlichtmilieu war in den Anfängen des Privatfernsehens regelmäßiger Gast in den Talkshows des deutschen Befindlichkeitsjournalismus. Kerns Film könnte von dieser medialen Inszenierung der „Hure mit Herz“ gar nicht weiter entfernt sein. Sein Biopic (basierend auf „Motiven aus Erzählungen von Domenica Niehoff“) ist eine Art inoffizieller Gegenentwurf zu Fassbinders „Die Ehe der Maria Braun“: ein schonungsloses Porträt Nachkriegsdeutschlands, in dem eine italienische Einwanderin mit ihren drei Kindern von einem Mann nach dem anderen geschunden und um ihre Ehre gebracht wird (in zwei der männlichen Rollen sind der junge Jürgen Vogel und Christoph Schlingensief als französischer Pferdezüchter zu sehen).

Das Mädchen Domenica wird von der jungen Nicolette Krebitz gespielt, Domenica Niehoff selbst taucht in einigen kurzen, aber instruktiven Szenen der Rahmenhandlung auf: etwa wenn sie über ihre Anfänge als Puffmutter spricht oder mit einem ehemaligen Freier und Verehrer auf der Straße schäkert. „Domenica“, halb Fassbinder-Melodram, halb Karmakar-Kolportage, war Anfang der neunziger Jahre trotz der „erotischen“ Thematik nicht einmal mehr in das deutsche Privatfernsehen integrierbar. Mit etwas weniger Durchsetzungsvermögen wäre Peter Kern womöglich in den Bildungsfernsehfenstern eines Alexander Kluge als intellektuelles Faktotum geendet. Stattdessen beschloss er, der bedeutendste und produktivste unabhängige deutsch-österreichische Filmemacher zu werden.

Sein neuer Film „Sarah und Sarah“, gedreht in Schwarz-Weiß, ist formalästhetisch nicht unbedingt repräsentativ für die aktuelle Werkphase Kerns. Er führt den Betrachter aber unmittelbar auf den umkämpften „Schauplatz Körper“. Eine demente Film-Diva des Dritten Reichs und ein krebskranker Junge, beide mit Namen Sarah, formieren eine Schicksalsgemeinschaft gegen die Vertreter des gesellschaftlichen Status Quo. Dabei lassen auch eine Klatschreporterin und ein Gerichtsvollzieher ihre traurigen Leben. Ihre siechenden Körper sind das Territorium, auf dem die beiden gegensätzlichen Sarahs sich ihrer persönlichen Freiheit versichern. „Wir sind christlich, sozial und wir beherrschen den Markt“, erklärt einmal ein Vertreter der Pharmaindustrie vor der krebskranken Sarah, worauf die alte Dame geistesabwesend „Schweine, Schweine, Schweine“ krakeelt. Chapeau gebührt vor allem Kern-Entdeckung Traute Furthner, die ganz im Sinne des Regisseurs ihren faltigen Körper ungeschützt vor der Kamera ausstellt. Peter Kerns „Kino der Verletzten“ ist eine Bühne für die Unerschrockenen.

■ Schauplatz Körper. Tribute to Peter Kern: 15.–18. 8., Kino Arsenal, Programm unter www.arsenal-berlin.de