: Hochgefühl am Flachbildschirm
Um den populären, aber falschen Parolen gegen so genannte Killerspiele etwas entgegen zu setzen, lud die Hamburg Media School zum Selbstversuch
Mit Computerspielen ist leicht Politik zu machen, denn sie liefern, was die Mediengesellschaft braucht: einfache Lösungen für komplexe Probleme. Gerade wenn sie einen so knalligen Titel tragen: Killerspiele. Wer will schon mit Killern zu tun haben? Die Bundesregierung jedenfalls nicht und fordert nach dem jüngsten Amoklauf in Emsdetten wie schon im Koalitionsvertrag publikumswirksam das Verbot von, ja – von was eigentlich?
Bei Sabine Treptes Projektion im großen Saal der Hamburg Media School kommt Heiterkeit auf. Schon der Titel ihres Workshops wirkt sarkastisch: „Massenmord im Kinderzimmer“. Und um die populäre Hatz auf gewalthaltige Games weiter ad absurdum zu führen, hat die Professorin für Medienpsychologie ein paar davon an die Wand geworfen.
Furchteinflößende wie den Ego-Shooter für Erwachsene „Call of Duty 2“, „Counter Strike“ natürlich, Inbegriff der Anleitung zum Durchdrehen, aber auch den Büropausenfüller „Moorhuhn“ oder „Rayman Raving Rabbits“, freigegeben ab sechs. Killerspiele? „Sie glauben gar nicht, mit was Sie da auf die Hasen einschlagen“, erklärt die Medienwissenschaftlerin Katharina-Maria Behr ihrem Publikum: Hacken, Spaten, alles tödlich.
Die Veranstaltung vom Dienstag soll das aktuelle Sperrfeuer oft unkundiger Kommentare über den Zusammenhang zwischen Ballerspiel und Aggressivität entschärfen. „Der Forschungsstand gleicht dem Glaskugellesen“, betont Trepte und erklärt, was unter praxiserprobten Experten als Gewissheit gilt: Um einen Robert Steinhäuser 13 Menschen umbringen zu lassen, bedarf es weit mehr als einiger Stunden „Counter Strike“ zu viel plus einer echten Waffe. Und dass nach Erfurt alle Welt auf das Spiel eindrosch, verweist aufs nächste Problem: Falschinformation. So wie Bild und Spiegel den Tätern von Tessin unlängst die falschen Spiele in die Konsole schoben, hatte Steinhäuser bei aller Liebe zum virtuellen Massaker nichts mit dem beliebtesten Game seiner Art am Hut.
Was er wohl zu „Far Cry Vengeance“ gesagt hätte? Das Prunkstück der neuesten Nintendo-Konsole wirkt tatsächlich wie eine reale Treibjagd mit Knarre. Sensoren nehmen die Bewegungen der Hand am Abzug in Echtzeit auf und senden sie auf den Bildschirm. Wie sich das anfühlt, will Trepte am eigenen Leib spüren lassen und lädt zum Daddeln ein. Und was nicht mal die Neulinge überrascht: Ego-Shooter sind spannend, erzeugen Hochgefühle im Erfolgsfall und Enttäuschung bei Versagen, machen Lust auf mehr und die Umgebung vergessen. So wie ein gutes Buch, packende Filme, toller Sex oder eine anregende Diskussion.
Neben dem zweiten Flachbildschirm misst ein Psychologe den Hautwiderstand bei „F.E.A.R.“: Bei einem Mitarbeiter des Hans-Bredow-Instituts, das zurzeit die Indizierung solcher Spiele prüft, schlagen die Peaks heftig aus, sobald er auf feindliche Söldner schießt.
Wäre der Mann jetzt noch sozial isoliert und leicht erregbar, hätte schlechte Noten und ebensolche Eltern, besäße ein wackeliges Wertegeflecht und vielleicht ein paar Drogen zu viel – dann könnte er seinen Aggressionen auch draußen freien Lauf lassen. Vielleicht. Und nur dann.JAN FREITAG