Genossen auf dem Tiefpunkt

Mit dem nächtlichen Rücktritt ihres Landesvorstandes zieht Hamburgs SPD erste Konsequenzen aus der Krise. Bis zu einem Parteitag in drei Wochen soll eine neue Spitze gefunden werden. Gesucht wird jemand, der sich im Wahlkampf verheizen lässt

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Olaf Scholz hat bereits dankend abgelehnt. Er sei überzeugt, dass die Hamburger SPD „die Probleme, die sie hat, lösen wird“, teilte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag gestern mit. Eine optimistische Prognose des einstigen Parteichefs und Innensenators im Stadtstaat an der Elbe, die nicht viele teilen. Der Rücktritt des gesamten Landesvorstandes gestern früh ist zwar die logische Konsequenz aus dem tief greifenden Zwist in der SPD. Die Krise aber ist damit nicht gelöst, und neue Gesichter an der Spitze noch lange nicht gefunden.

Nach achtstündiger nächtlicher Krisensitzung hatte SPD-Chef Mathias Petersen am Mittwoch morgen gegen 4 Uhr den Rücktritt des 24-köpfigen Vorstandes verkündet. Auf einem Parteitag am 24. März solle ein neuer Vorstand gewählt und zugleich die Spitzenkandidatur für die Bürgerschaftswahl in einem Jahr geklärt werden. Für den desolaten Zustand der Partei „übernimmt“ das Führungsgremium „die politische Verantwortung“, sagte Petersen. Als ob der Vorstand die nicht ohnehin hätte.

Ausgelöst wurde die Krise Ende Januar, als die Mehrheit des Vorstandes dem ungeliebten Petersen das Misstrauen aussprach und ihm die offizielle Nominierung als Bürgermeister-Kandidat verweigerte. Verschärft wurde sie durch den zweiwöchigen Bewerbungsmarathon, den der 51-Jährige und seine Stellvertreterin und Kontrahentin Dorothee Stapelfeldt vor der Basis absolvieren mussten. Und gekrönt wurde sie durch eine Wahlmanipulation beim Mitgliederentscheid am vorigen Sonntag.

959 Stimmzettel hatte ein Unbekannter klammheimlich aus einer Urne in der Parteizentrale verschwinden lassen, in der die per Briefwahl eingegangenen Voten vermeintlich sicher verwahrt wurden. Die Auszählung der Stimmen am Sonntagabend wurde gestoppt und damit für ungültig erklärt. Der für Dienstagabend terminierte Parteitag, auf dem das Votum der Mitglieder offiziell bestätigt werden sollte, wurde durch eine Krisensitzung des Landesvorstandes ersetzt. Und der hat sich nun in Missfallen aufgelöst, im Beisein von SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Der war im Auftrag von Parteichef Kurt Beck nach Hamburg geeilt, um den Genossen ins Gewissen zu reden.

Binnen drei Wochen müssen nun Petersen, Stapelfeldt und die Vorsitzenden der sieben Parteikreise „gemeinsam einen Spitzenkandidaten benennen“, beschloss der Vorstand, der kommissarisch im Amt bleibt. Damit sind der Noch-Parteichef und seine Noch-Vize nicht mehr im Angebot, denn nach den tiefen Zerwürfnissen der vergangenen Wochen sind beide nicht mehr konsensfähig.

Zwangsläufig werden bereits schwunghaft Namen gehandelt. Ebenso wie Olaf Scholz erklärte gestern auch der Fraktionschef in der Bürgerschaft, Michael Neumann, „nicht nach höheren Weihen“ zu streben. Genannt wird häufig Markus Schreiber, Bezirksbürgermeister in Hamburg-Mitte. Als Verwaltungschef ohne parlamentarischen Erfahrung dürften seine Chancen allerdings gering sein.

Schon traditionell darf Henning Voscherau nicht fehlen, der neun Jahre lang bis 1997 Erster Bürgermeister war. Als Zukunftslösung allerdings kann der 65-jährige Notar kaum gelten, der seine noch immer exzellenten Kontakte zur Springer-Presse vornehmlich für Unruhe stiftende Zwischenrufe vom Altenteil zu nutzen versteht.

Und so fällt der Blick der Genossen denn auch über die Grenzen des Stadtstaates. Peer Steinbrück, Bundesfinanzminister und gebürtiger Hamburger, ist ebenso in der Verlosung wie Gitta Trauernicht. Die Sozialministerin in Schleswig-Holstein, in den 90er Jahren an der Elbe Staatsrätin in der Schulbehörde und in der Senatskanzlei, gilt vielen Genossen als beste Lösung.

Das Problem ist nur: Wer lässt sich schon von dieser Partei in dieser Lage als Kanonenfutter für Ole von Beust missbrauchen?

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