Knappen mit Knopf im Ohr

Ein Auftrag von Gewicht: eine Dokumentation über die Schweizergarde. Im 500. Jahr ihres Bestehens

VON BERND HARTUNG

Halt durch, Johannes Paul, flehe ich Ende März 2005 innerlich. Am 11. April 2005 habe ich meinen ersten Termin bei der Schweizergarde im Vatikan. Nicht dass es am Ende heißt: „Unter diesen Umständen … Sie müssen verstehen … Vielleicht ein anderes Mal …“

Johannes Paul II. stirbt am 2. April 2005. Drei Tage später, am letzten Tag der Aufbahrung, wage ich mich an die Porta Sant‘Anna. Schweizergardisten in blau-schwarzer Uniform kontrollieren die Dienstausweise derer, die in den Vatikan dürfen, und stoppen das Heer katholischer Geistlichen, die versuchen, den Papst durch die Hintertür zu erreichen.

„Jawohl, Hauptmann, er sagt, er sei Fotograf, für ein Museum in der Schweiz.“ Der Gardist reicht mir den Hörer, und der Hauptmann bedauert, er sei noch im Bad. Ich solle in einer Stunde wiederkommen. Dann geht alles sehr schnell, der Offizier im akkuraten blauen Dreiteiler mit Knopf im Ohr begrüßt mich im Laufschritt. Türen, Tore, Treppen und Hallen fliegen an mir vorbei. Er beteuert, wie gut es sei, dass ich jetzt schon gekommen bin, und wie wichtig es sei, die Ehrenwache beim aufgebahrten Papst für das neue Schweizergarde-Museum festzuhalten. In diesen Tagen, sagt mir später Kommandant Mäder, entscheide sich, wie viel Gewicht die Schweizergarde in Zukunft haben wird. Unter Johannes Paul II. habe sie an Einfluss verloren. Die Frage, wer wann wie nah an den Papst darf, ist offenbar entscheidend für den Fortbestand. Denn wenn es um die Sicherheit des Vatikans geht, ist die italienische Polizei immer mit von der Partie. Und die hatte in den letzten Jahren die Nase vorn.

Als der Hauptmann die letzte Tür öffnet, liegt das Seitenschiff der Basilika vor mir. 50 Meter entfernt stehen vier Gardisten um den wächsernen Papst herum. Mit Hellebarde, Helm und Federbusch, in der Uniform, die man von Postkarten kennt, aber in der strengen Haltung, die Verpflichtung heißt, Verpflichtung eines gläubigen Katholiken, seinem Kirchenoberhaupt zu dienen und den Papst zu beschützen, auch nach dessen Tod.

Es ist der Auftakt für schwierige zwei Wochen: Nicht in dieser Uniform! Nicht wenn wir müde sind! Schon gar nicht beim Trinken! Nicht ohne zu fragen! Nicht während der Einkehr!

„Fumo bianco, fumo bianco!“, kreischt eine Römerin in ihr Telefonino. Ich bahne mir meinen Weg vom Petersplatz zur Kaserne auf der Ostseite, gegen den Strom der Tausenden. Die Ehrenformation der Schweizergarde zieht mit anderen Ehrencorps und Orchester der italienische Armee hinaus auf den Platz zum Obelisken, wo sie den neuen Papst begrüßen. Jubel brandet durch Berninis Säulen. Ben Hur, Borussia Dortmund und Woyzeck in einem. Ein archaischer Schauer ganz eigener Kraft. Bis die Musik plötzlich verstummt. Ich bin der einzige freilaufende protestantische Fotograf in dem abgesperrten Geviert. Die Menge jubelt, und hinter mir spricht ein alter Mann vom Balkon der Basilika. Ich erkenne die Stimme sofort, es ist dieselbe wie in der letzten Totenmesse für Johannes Paul II.

BERND HARTUNG, 39, Fotograf, ist Mitglied der Agentur Focus. Das im November eröffnete Museum in Naters, Schweiz, zeigt seine Fotodokumentation als Dauerausstellung