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Archiv-Artikel

Immer noch der Klassiker

Im niedersächsischen Zeven werden die Kondome produziert, die einmal für das Kondom überhaupt standen: die „Fromms“. Über deren Erfinder Julius Fromm ist nun bei Fischer ein Buch erschienen: „Fromms. Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räder geriet“

VON DANIEL WIESE

Deutschlands führender Kondomhersteller heißt Mapa und sitzt zwischen Hamburg und Bremen in dem kleinen Örtchen Zeven. Klickt man auf der Homepage des Unternehmens den Link „Historie“ an, so erscheint eine sich langsam fortbewegende, blau eingefärbte Zeitachse. Sie beginnt mit dem Jahr 1912 und dem Eintrag: „Julius Fromm erbaut in Berlin eine kleine, leistungsfähige Condomproduktionsstätte“.

Julius Fromm war vielleicht nicht der erste, der Kondome industriell produzierte. Doch er war der erste, der Kondome ohne störende Naht auf den Markt brachte. Sein Verfahren, einen Glaskolben in eine Gummilösung zu tauchen, erwies sich als zukunftsträchtig. 1926 produzierte Fromm, der in einem kleinen Ladenlokal in Prenzlauer Berg angefangen hatte, bereits 24 Millionen „Fromms“ im Jahr, 1930 ließ er in Berlin-Köpenick eine Fabrik im Bauhausstil errichten.

Julius Fromm wurde ein reicher Mann. Er soll der erste Berliner gewesen sein, der einen Cadillac fuhr, mit seiner Familie zog er in eine Villa im noblen Vorort Schlachtensee. Seine Nichte Ruth Fromm, eine 87 Jahre alte Dame, die in Manhattan lebt, beschreibt ihn als „kalt“. Er habe immerfort ans Geschäft gedacht, ans Geld, an die Firma. „Sonst ist von ihm nichts zu berichten.“

Mit Fromms Nichte gesprochen haben die Autoren eines Buchs, das jetzt bei Fischer erschienen ist. Es heißt „Fromms. Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räder geriet“. Geschrieben haben es Spiegel-Redakteur Michael Sontheimer und der Historiker Götz Aly, der zuletzt mit der These von der „Wohlfühldiktatur“ von sich reden machte. Danach konnte sich das System des Nationalsozialismus nur halten, weil es den Deutschen materielle Vorteile verschaffte – unter anderem durch die Verteilung von jüdischem Vermögen.

In dem Buch über Julius Fromm geht es nicht nur um die Vermögensfrage, aber auch. Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der als ostjüdischer Flüchtling nach Berlin kam, viel gewann – und fast alles wieder verlor. 1938 musste er seine Firma, deren Wert sich auf acht Millionen Reichsmark belief, für 200.000 Schweizer Franken an eine österreichische Adelige verkaufen. Baronin Elisabeth von Epenstein war die Patentante Hermann Görings, der offiziellen Nummer Zwei in Nazi-Deutschland, dem sie aus Dankbarkeit für diesen Deal zwei Burgen vermachte. Die Villa der Fromms in Schlachtensee wurde einem deutschen Ritterkreuzträger überlassen, die besten Stücke des Inventars wurden an eine Offiziersgattin verscherbelt, der Rest an interessierte Berliner Mitbürger versteigert.

Fromm gehörte zu den deutschen Juden, die an die Vertreibungs- und spätere Vernichtungspolitik der Nazis nicht glauben wollten. „Wir sind doch Deutsche!“, der Satz ist auch von ihm überliefert. Trotzdem hatte er seine drei Söhne bis 1934 im Ausland in Sicherheit gebracht. Er selbst ging 1938 ins Londoner Exil, wo er 1945 starb, nur drei Tage nach dem Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland.

„1945: Die Fromms-Werke in Berlin werden durch Kriegseinwirkungen zerstört“, steht auf der Homepage des Kondomherstellers Mapa in Zeven, der neuen Heimat der Fromms-Kondome. Über die Enteignung kein Wort. Wer mehr wissen will, muss sich über das Produktsortiment der Firma durchklicken bis zu einem Link, der auf das „Virtuelle Markenmuseum“ verweist, eine Art ausgelagertes Firmenarchiv. Dort steht unter dem Stichwort „Fromms“, dass es 1949 einem der Söhne von Julius Fromm gelang, den Markennamen zurückzukaufen. Die Rechte lagen inzwischen bei einem Erben von Görings Patentante, der sich dafür 174.000 Mark bezahlen ließ. Fromms Söhne überließen den Namen noch im selben Jahr den „Hanseatischen Gummiwarenwerken“ in Bremen, die später an die Mapa gingen.

„1949: Abschluss eines Lizenzvertrages mit der Familie Fromm zur Produktion und Vertrieb von Fromms-Kondomen“, lautet der Eintrag in dem Zeitdiagramm auf der Mapa-Homepage. Der nächste Eintrag zu Fromms findet sich im Jahr 1962: „Die ‚Hanseatische Gummiwarenfabrik‘ präsentiert ihr erstes feuchtbeschichtetes Kondom: Fromms FF.“

Was die Verkaufszahlen angeht, seien die Fromms inzwischen auf den zweiten Platz gerutscht, sagt die Pressesprecherin von Mapa, Melanie Lück. Platz eins nehme das Modell „Billy Boy“ ein, „ein jugendliches Produkt, das mit Farben, Noppen und Aromen“ spiele. Dennoch seien die Fromms immer noch der Klassiker, „zylindrisch und transparent“.

Bereits 1932 hatte Julius Fromms hat seine Kondome mit den Argumenten beworben: „Unsere Spezialmarken Fromms Act nennen sich nicht nur transparent, sie sind tatsächlich transparent“. Heute arbeiten bei Mapa in Zeven 600 Leute, und „die Produktion ist auch hier“, sagt die Mapa-Pressesprecherin. „Der Standort Deutschland ist hier gesichert.“

Götz Aly, Michael Sontheimer: „Fromms. Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räder geriet“, S. Fischer, 224 Seiten, 19,90 Euro