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Archiv-Artikel

Bargeldlos zur Konfirmation

Hartz IV in der Kirche: Im niedersächsischen Rotenburg mussten Jugendliche ihre Konfirmationsgeschenke an den Staat abtreten – weil ihre Eltern ALG II beziehen

VON JULIA BRODERSEN

Viele Jugendliche fiebern nicht nur wegen Gottes Segen auf den Tag ihrer Konfirmation hin. Von Opa und Oma gibt es zusätzlich das nötige Kleingeld für den ersten Motorroller und auch der Rest der Verwandtschaft zeigt sich bei den Geldgeschenken alles andere als knausrig. Für Konfirmanden, deren Eltern ALG-II-Empfänger sind, können die lange erhofften Geldgeschenke jedoch schnell zur Enttäuschung werden. Denn grundsätzlich gilt für EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld II und Grundsicherungsleistungen, dass es sich bei Konfirmationsgeldgeschenken um Einnahmen handelt, die in dem Monat angerechnet werden müssen, in dem sie als Geschenk an den Konfirmanden ausgezahlt werden.

So bereits letztes Jahr im niedersächsischen Rotenburg passiert. Die Familie S. gab das Konfirmationsgeld ihrer Zwillingstöchter in einer Höhe von insgesamt 800 Euro bei der Antragstellung auf Arbeitslosengeld II an. Das zusätzliche Einkommen wurde sofort verrechnet und die Leistungen gekürzt. Heinz Wagner, Kirchenkreissozialarbeiter des Diakonischen Werks Rotenburg, nahm sich der Sache an und machte sie jetzt bekannt.

Die Familie legte beim Arbeitsmarktportal Landkreis Rotenburg Beschwerde ein. „Die eiern da richtig rum“, sagt Wagner, „der Landkreis hat sich bis jetzt noch zu keiner Stellungnahme bewogen“. Seiner Meinung nach sei es eine Gerechtigkeitslücke, dass Familien, die ehrlich das Konfirmationsgeld ihrer Kinder angeben, letztendlich mehr darunter leiden als diejenigen, die das eingenommene Geld einfach „verschweigen“ würden.

Wagner setzte sich mit dem Fall der Familie S. intensiv auseinander und wendete sich an Gerd Andres (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). In einem Brief, der der taz vorliegt, sagt Andres, dass es vom Zeitpunkt des Zuflusses abhänge, ob Konfirmationsgeldgeschenke als einmaliges Einkommen oder als Vermögen gelten. Fließen sie vor dem Bedarfszeitraum zu, seien sie als Vermögen zu berücksichtigen, schreibt Andres. Für minderjährige Hilfebedürftige ist im Falle von Vermögen ein Freibetrag von 3.100 Euro festgesetzt.

Bei Familie S. sind die Konfirmationsgeldgeschenke während des Bedarfzeitraums zugeflossen und mussten somit als zusätzliches Einkommen verrechnet werden. Weiteren Erklärungen Andres’ zufolge haben auch hilfebedürftige Jugendliche zur Sicherung ihres Lebensbedarfs eigenes Einkommen und Vermögen einzusetzen, wenn dies nicht durch andere Haushaltsangehörige der Bedarfsgemeinschaft möglich sei. In diesem Sinne zählen zum Einkommen des Jugendlichen auch hohe Geldbeträge zur Konfirmation.

Das kann auch BMAS-Pressesprecherin Barbara Braun grundsätzlich bestätigen. „Eine einmalige Einnahme kann schon für einen gewissen Zeitraum die Einkommenslage verändern und muss angegeben werden“, sagt Braun. „800 Euro finde ich da nicht gerade wenig.“

Bis Mitte April werden an den kommenden Wochenenden Jugendliche konfirmiert. Heinz Wagner fürchtet, dass es dieses Jahr zu ähnlichen Problemen kommen könnte. Aus diesem Grund hat er ein Merkblatt für seine Konfirmanden und deren Eltern verfasst. In dem Wagner Möglichkeiten aufzeigt, wie die Geldgeschenke am besten zu „schützen“ sind. So können diese schriftlich vom Schenkenden für Sachen wie eine Stereoanlage oder ein Computer, die nicht den Regelbedarf und die einmaligen Leistungen berühren, zweckbestimmt werden. „Es gibt auch die Möglichkeit, dass die Geldgeschenke auf ein Sparbuch überwiesen werden, über das der Beschenkte erst mit 18 Jahren verfügen kann“, sagt Wagner. Dann lieber gleich der Motorroller.