: Nackten, Nackten, Nackten
Wie „Focus“ und „Bild“ mit nichtpublizierten FKK-Fotos von EU-Kommissar Günter Verheugen Politik zu machen versuchen. Cohn-Bendit: „Das ist die schmuddeligste Ecke des Journalismus“
VON PETER UNFRIED
Helmut Markworts Nachrichtenmagazin Focus hatte sich bekanntlich voller Leidenschaft der Lieferung von Fakten verschrieben – und nicht der von Nackten.
Insofern ist es ein erstaunlich, wie nun mit „Nacktfotos“ (ein EU-Abgeordneter) gehandelt wird, die die Welt gar nicht gesehen hat. Fotos, die laut Focus den EU-Industrie-Kommissar Günter Verheugen (SPD) und seine Kabinettschefin Petra Erler an einem litauischen FKK-Strand zeigen. Also textilfrei.
Der Focus ließ laut SZ die Fotos zunächst in Brüssel zur Ansicht herumreichen und „prüft“ nun seit Tagen eine Veröffentlichung, Bild-Chefredakteur Kai Diekmann assistiert auf der Grundlage der Nichtveröffentlichung mit einer Titelgeschichte („Jetzt auch noch Nacktfotos“), weiteren Folgen der skandalerprobten Serie „Deutschland diskutiert …“ und lässt sogar Gaga-Kolumnist Franz Josef Wagner von der Leine.
Dies passiert mit freundlicher Unterstützung deutscher EU-Abgeordneter aus dem konservativen Lager, die gegen Abdruck ihres bis dato unbekannten Namens politische Konsequenzen fordern. Und Springers Welt behauptet, dass „Gerüchte über neue Fotos den Druck auf Verheugen erhöhen“ – und erhöht damit den Druck. „Das ist die schmuddeligste Ecke des Journalismus, die man sich ausdenken kann, was der Focus hier macht“, sagte Daniel Cohn-Bendit, Fraktionschef der EU-Grünen, der taz (siehe Interview). „Eine solche Kampagne, die nur darauf zielt, eine Person in solcher Art und Weise persönlich zu diffamieren, habe ich noch nicht erlebt“, sagte der SPD-Chef Kurt Beck. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte sich gestern ebenfalls „uneingeschränkt“ hinter Verheugen.
Wird der Focus die Fotos noch veröffentlichen? Gestern Nachmittag, mitten in den Feierlichkeiten zum 70. Geburtstag von Focus-Chef und -Gründer Markwort, war man immer noch am „Prüfen“. Eine Veröffentlichung, teilte ein Sprecher auf taz-Anfrage mit, „hängt auch von der weiteren Entwicklung der Causa Verheugen/Erler ab“.
Zum Mitschreiben: Der Focus bringt Fotos nicht auf den Markt, wartet die „Entwicklung“ der „Causa“ ab, um dann auf der Grundlage einer Entwicklung, die man durch nichtpublizierte Fotos initiiert hat, zu entscheiden, ob man die Fotos publiziert. Oder ob man sie nun publizieren kann. Das – und das Pingpong mit Bild – hat eine ganz neue Qualität.
Grundsätzlich ist an einem FKK-Strand das Fotografieren durch Dritte sowieso tabu. Und auch wenn Verheugen eine Person der Zeitgeschichte sein sollte, ist sein Recht auf Privatsphäre durch das Presserecht geschützt. Nackt ist eindeutig privat. Eine Veröffentlichung kann also nur erfolgen, wenn den Fotos politische Relevanz beigemessen werden könnte.
Es wäre ein klarer Rücktrittsgrund, wenn Verheugen seine Kabinettschefin bei der Beförderung begünstigt hätte. Dass die Fotos das belegen, ist auszuschließen. Oder die Fotos müssten beweisen, dass er die Unwahrheit gesagt hat zur Frage einer intimen Beziehung zu Erler. Dazu sagte er im Oktober: „Es bestand keine über eine persönliche Freundschaft hinausgehende Beziehung, als die Ernennung von Frau Erler erfolgte. So ist die Situation auch heute.“
Verheugen-kritische Parlamentarier sehen eine neue Faktenlage. „Die Nacktfotos lassen nur den Schluss zu, dass es nicht stimmt, dass nichts war zwischen Verheugen und seiner Kabinettschefin“, lässt sich ein CSU-Parlamentarier zitieren. Gegenfrage: Was müsste auf den Fotos zu sehen sein, damit sie „nur den Schluss zulassen“, dass doch etwas war? Doch wohl mehr als jenes Händchenhalten, das der Focus bereits Mitte Oktober publizierte und womit die Sache – auch damals dank Bild – Fahrt aufgenommen hatte. Und selbst wenn in Litauen was gelaufen sein sollte? EU-Parlamentarier Cohn-Bendit sagt, es habe „niemand zu interessieren, wen Verheugen liebt oder wie er liebt“. Ansonsten kann man nur hoffen, dass Verheugen auf dem Foto nackt ist. Sonst hätte er gegen den Ehrenkodex eines FKK-Strandes verstoßen.