: Milka, 40, Berührerin
Die neue Serie: Eine Kleinanzeige und ihre Geschichte. Heute: Die Berlinerin Milka – denn „nichts hat einen größeren Zauber als eine sanfte Berührung“
Blass ist sie. Ungeschminkt. Noch nicht mal Lippenstift. Grauer Strickpulli. Blaue Jeans. Wildlederschuhe. Randlose Brille. Braune Locken. Einige graue Haare. „Ziemlich normal“ sehe sie aus, hatte Milka am Telefon gesagt. Wenn Milka, die im bürgerlichen Leben anders heißt, im Café neben einem säße, würde man sich wohl später kaum an sie erinnern. Es sei denn, man spitzt im richtigen Moment die Ohren und belauscht ihre seltsamen Telefonate.
Wenn ihr Handy klingelt, lachen Kinder – ein Klingelton, der vermutlich dezent wirken soll, aber gerade deswegen auffällt. Milka dreht sich weg und flüstert ins Handy: „Hatten wir schon drüber gesprochen, was ich mache und was das kostet?“ Als sie auflegt, sagt sie, jetzt wieder lauter: „Ich glaube nicht, dass der kommt.“ Warum? „Intuition.“
„Milka, 40, Berührerin“ steht in ihrer Anzeige und dahinter die Handynummer, die drei Kunden oder solche, die es werden wollen, während unseres einstündigen Treffens anrufen. „Meine Tochter ist fünf und kann meinen Spruch am Telefon schon auswendig“, sagt Milka. So oft klingelt ihr Handy. Am Morgen war ihre Anzeige wieder im Berlin-Teil der taz erschienen.
Auf die Frage, was eine Berührerin denn genau macht, antwortet Milka erst mal, was sie nicht macht: „Sex ist prinzipiell ausgeschlossen – auch Oralverkehr. Das sage ich auch direkt am Telefon.“ Und sonst? „Viele Männer denken, es geht nur ums Abspritzen.“ Geht es nicht. Sie lege Wert auf eine „authentische Form der Begegnung“. Gehört dazu auch: Befriedigung? Die Ohren am Nebentisch werden länger. „Wie im richtigen Leben ist das eine Frage der Situation und der Sympathie“, antwortet Milka, die sich während ihrer Massagen manchmal auszieht, aber längst nicht immer: „Ich will nichts vorspielen. Darauf habe ich keinen Bock.“
120 Euro kostet Milkas eineinhalbstündige „sinnliche Körperreise“. Drei bis vier Kunden behandelt sie pro Woche. Mehr wäre ihr zu anstrengend, weil ihr Nebenjob viel psychologisches Einfühlungsvermögen verlange. „Ich mache das, weil’s mir Spaß macht, und nicht, weil ich die Heinzis abmelken will.“ Worin besteht ihr Spaß? „Ich begegne Menschen gern auf eine körperliche Weise.“ Milka sagt „Menschen“ und meint Männer. Mit Frauen könne sie erotisch nichts anfangen. „Ich hab ’n Händchen für Männer.“
Vor etwa fünf Jahren hatte Milka die Idee, Freestyle-Massagen anzubieten, die für die Tantraszene nicht spirituell genug sind und für Erotikmassagen nicht hart genug – eine „absolut persönliche Mischung“ eben. Davon angesprochen fühlen sich nicht etwa nur die Einsamen, sondern laut Milkas Beobachtung vor allem Männer, die in einer sexuell unbefriedigenden Beziehung stecken, „aber nicht in den Puff gehen oder eine Affäre anfangen wollen“ – die Berührerin als Erfüllungsgehilfin moralisch tragbarer Triebabfuhr, eine lukrative Marktlücke.
Milkas ältester Kunde ist 73, der treueste kommt seit drei Jahren einmal pro Monat. Häufiger könne oder wolle sich ihren Service kaum einer leisten – zum Glück: „Je vertrauter das Verhältnis, desto schwieriger wird es auch, weil die Männer dann glauben, sich mehr rausnehmen zu können.“ Da Milkas Kundenstamm groß ist und nur die wenigsten sie regelmäßig besuchen, macht sie sich in ihrem Terminkalender Notizen, um sich beim nächsten Mal an den Kunden erinnern zu können. Da steht dann „schön und geil, aber sehr taktvoll“ oder „Styroporeier“ – in der Geschichte, die der Kunde ihr erzählt hat, ging es um Hoden. Auch die Gespräche schätzt Milka an ihrem Job.
Ausschläge, Körpergeruch, Narben, alternde Haut – was Milka unter die Hände kommt, ist genauso schonungslos wie manche Eintragungen in ihrem Büchlein. Zweimal habe sie sich schon in einen Kunden verliebt, zum Sex sei es nie gekommen. Sie wolle das Vertrauen ihres Partners, der „halbwegs offen“ mit ihrem Job umgehe, nicht missbrauchen, sagt sie. „Lieber lebe ich die von einer Sitzung mitgebrachte Geilheit zu Hause aus.“
Zum Abschied bittet Milka, bei Gelegenheit Freunden von ihr zu erzählen. „Ein gutes Restaurant empfiehlt man ja gern weiter“, sagt sie, „in meiner Branche ist das etwas heikel.“ Und dann äußert sie noch einen Wunsch: „Ich hätte gern mal ’nen Blinden.“ DAVID DENK
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