ALTE MEISTER
: Der korsische Diktator

Der gleiche Haaransatz, die breite Stirn, der autoritäre Blick – die Ähnlichkeit ist groß genug, um seit Jahren das Gerücht zu nähren, Muammar al-Gaddafi sei der Sohn dieses Korsen. Der Legende zufolge stürzte 1941 Albert Preziosi, Pilot der „France libre“, bei einem Einsatz in der libyschen Wüste ab, wo er von Beduinen gerettet wurde. Als Frucht einer kurzen Romanze mit einer Tochter seiner Gastgeber sei dann später ein Sohn geboren worden.

Und dieser sei eben der heutige Herrscher von Tripolis, der offiziell am 19. Juni 1942 das Licht der Welt erblickte. Preziosi aber starb wenig später an der russischen Front als von der Sowjetunion geehrter Kriegsheld. Verehrt wird er auch in seinem korsischen Heimatdorf Vezzani, wo der Bürgermeister zu Preziosis angeblichem Sprössling amüsiert meint: „Wir haben keinen Beweis für diese Vaterschaft, aber es spricht auch nichts dagegen!“

Die Legende ist nicht neu, verbreitet und entsprechend ausgeschmückt wurde die Geschichte von Preziosis Abenteuer mit einer „Beduinenprinzessin“ vom einzigen Überlebenden der Einheit. Später hieß es sogar in einem rechtsextremen Magazin, wegen seiner angeblichen korsischen Ursprünge finanziere Gaddafi die dortigen nationalistischen Untergrundkämpfer.

Momentan ist die aufgewärmte Story von Gaddafis korsischen Vater noch brisanter. Im Internet ist die Geschichte von Gaddafis Abstammung derzeit eine der meistgelesenen Klatschgeschichten. Jetzt fehlt nur noch, dass sich Muammar al-Preziosi auf seine Blutsbande beruft, um auf der französischen Mittelmeerinsel Zuflucht zu suchen. Von dort aber fliegt die französische Luftwaffe ihre Angriffe gegen ihn, und der Stützpunkt bei Solenzara trägt übrigens den Namen „Albert Preziosi“.

RUDOLF BALMER, PARIS