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Archiv-Artikel

Sinngeleitetes Design

Die Deutsche Bank, Berlin und andere optische Erfindungen: Anton Stankowski ist der Halbgott der Logos, Corporate Indentities und ähnlicher kommerzieller Anwendungen. Das Bremer Museum „Neue Weserburg“ führt derzeit umfangreich vor Augen, warum das alles trotzdem Kunst ist

Das Bank-Logo: In allen graphischen Herleitungen hängt der horizontal gekappte Schrägstrich an den Wänden

VON HENNING BLEYL

Wer bei REWE einkauft, ist kulturell ganz vorn. Zumindest hat man dabei ständig ein Logo vor Augen, das derzeit in einem der profiliertesten Sammlermuseen für Zeitgenössische Kunst, der Bremer Weserburg, bestaunt werden kann. Das Gleiche gilt für Kunden der Deutschen Bank. In allen möglichen graphischen Herleitungen hängt der horizontal gekappte Schrägstrich an den Wänden, umschlossen vom Sicherheit suggerierenden Quadrat. Dabei präsentiert das Haus kein Best of Werbedesign, sondern „Aspekte des Gesamtwerks“ von Anton Stankowski. Der wiederum unterschied bei seiner Arbeit nicht die Bohne zwischen angewandter und freier Kunst.

Was man heutigen WerbeagenturmitarbeiterInnen meist gar nicht glauben möchte, ist in der Weserburg überzeugend nachvollziehbar: Dass ein simpel erscheinendes Zeichen in echter Arbeit entwickelt wird. Speziell Stankowski muss von graphischem Forschungsdrang besessen gewesen sein: Mit unermüdlichem Eifer, lange vor Photoshop, Corel Draw & Co, untersuchte er visuelle Gesetzmäßigkeiten, lotete mit dem Bleistift Proportionen aus, erstellte von ein und demselben Objekt endlose Fotovarianten, um alle optischen Optionen zu erkennen.

Der Nutzwert ließ nicht lange auf sich warten: Um periodischen Geschäftsstatistiken ein sinnvolles Erscheinungsbild zu geben, entwarf Stankowski eine Jahresfläche, von der sich rechteckige Monats-, Wochen und Tages„bauklötze“ abheben – sieht gut aus und transportiert ein verräumlichtes Zeitgefühl. In der Weserburg sind auch Stankowskis hölzerne Volumenuntersuchungen zu sehen: Zylinderpaare, die durch variable Höhen und Durchmesser einen konstanten Rauminhalt behalten. Ist simpel, sieht aber auch gut aus und diente Architekten wie Frei Otto als Anschauungsmaterial.

Stankowski, ganz Bergarbeitersohn, lernte sein Handwerk von der Pike auf: als Kirchen- und Dekorationsmaler. Gern wird erzählt, wie der Meister schimpfte, wenn der junge Anton mit dem ornamentalen Ausmalen der Räume, die lediglich eine Zierborte bekommen sollten, gar nicht mehr aufhören konnte. Nach trotzdem erreichter Gesellenreife kam Stankowski 1927 an einen Ort, der seinen Gestaltungsbedürfnissen gerecht wurde: Die Essener Folkwangschule mit ihrem ganzheitlichen Kunstansatz. Dann der berufliche Einstieg bei der damals hoch angesagten Schweizer Werbeagentur von Max Dalang, bei der man sich Anfang der Dreißiger seine Visitenkarten auf dem eben erfundenen Plexiglas druckte.

Zurück zur Deutschen Bank. Beim Bewundern der dynamischen Diagonale stellt sich nebenbei die Erkenntnis ein, warum Josef Ackermann das Victory-Zeichen so gern benutzt: Das „V“ ist nichts anderes als die Spiegelung seiner Logo-Diagonale. Der historischen Gerechtigkeit halber muss allerdings gesagt werden, dass die aufstrebende Schräge ursprünglich als Logo des Stuttgarter Flughafens gedacht war – die schwäbischen Manager entschieden sich jedoch für ein hausgemachtes Design. Die Bank hingegen hofierte Stankowski wie einen Halbgott.

Die Diagonale war Stankowskis erfolgreichste Zeichensetzung. Auf Millimeterpapier gebannt sieht man an den Wänden der Weserburg die ineinander geschobenen Striche, aus denen das Zeichen der Münchner „Rück“, der Mutter aller Versicherungen, wurde – ein geniales Sinnbild der Geschäftsidee. Doch auch die weniger angewandte Kunst Stankowskis kommt in Bremen zur Geltung, etwa die „Mutter mit Kind“ – konzentriert auf ein „Y“, dass eine Raute in den „Armen“ hält.

Wie wirkungsvoll die Suche nach Essenz in Werbezusammenhängen ist, zeigen Stankowskis Arbeiten für IBM. Etwa für die elektronische Kugelkopfschreibmaschine, die IBM Anfang der 50er auf den Markt brachte und so dem bis dato heftigen Typengeklackere in allen Büros ein Ende setzte. Stankowski entwickelte für deren Markteinführung eine Kampagne, in der die Schreibmaschine selbst überhaupt nicht vorkommt. Stattdessen druckten die Magazine ganzseitige monochrome Anzeigen. In einer Ecke stand lediglich ein kurzer, aber nahezu messianischer Text: „So frei wie diese Flächen von der Unrast vielfältiger Eindrücke, so frei sind auch Kopf und Nerven von Mühsal, Hast und Anstrengung, wenn beim Maschineschreiben die helfende Kraft der Elektrizität ist.“ Fast ist man versucht, seinen Computer wieder in die Ecke zu stellen.

Die künstlerische Unabhängigkeit hinderte Stankowski keineswegs daran, sich tiefgehend mit den zu bewerbenden Produkten zu identifizieren. Als er – noch in der Schweiz – das Logo für ein Reformhaus entwickeln sollte, stellte er nicht nur seine gesamte Ernährung auf Müsli und dergleichen um. Er hängte auch noch die Fenster seiner Wohnung aus, um sich völlig der Frische-Euphorie der Reformhäusler auszusetzen. Als die Vermieterin den professionellen Auswüchsen ein Ende machte, hatte „Reform-Müller“ bereits ein „authentisch“ entwickeltes Firmenzeichen. All‘ das ist in Bremen in geschickt gestalteten Räumen zu sehen.

Nun könnte man sich zu Recht darüber erregen, dass die Schau „Aspekte des Gesamtwerks“ heißt. Geht es noch nichtssagender? Trotzdem ist die Bremer Ausstellung die beste der bisherigen Stankowski-Retrospektiven, wie nicht nur Karl Duschek, Stankowskis langjähriger Bürogenosse, findet. Nach dem Start in der Stuttgarter Staatsgalerie wanderten die Exponate in‘s Zürcher „Haus Konstruktiv“, wo die Schau, in‘s Dachgeschoss verbannt, floppte. In Bottrop sorgte die Retrospektive mit einer extrem braven Hängung für Kritik, jetzt in Bremen kann sie sich trotz Erweiterung um zahlreiche Exponate in den weitläufigen Etagen der früheren Kaffeerösterei entfalten. Weswegen man wohl ausnahmsweise dem Focus Recht geben muss, der sie als „wichtigste Ausstellung des Monats“ bezeichnet. Dessen hässliche Lettern mit dem absolut unoriginellen Erdkugel-„o“ sind selbstverständlich nicht von Stankowski.

Anton Stankowski, „Aspekte des Gesamtwerks“: Bis 22. April im Neuen Museum Weserburg in Bremen, wo derzeit auch eine umfangreiche Gerhard-Rühm-Schau zu sehen ist. Weitere Informationen im Internet unter: www.nmwb.de