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Archiv-Artikel

Das lange Warten auf den Supersenator

Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) bekam vor seinem Antritt in Berlin viele Vorschusslorbeeren. Viel in Gang gebracht hat er seither nicht. „Der Lack ist ab“, lästert die Bildungsgewerkschaft. Klar ist: Nach hundert Tagen im Amt zehrt Zöllner immer noch vor allem von seinem Image

Er sei „faszinierend“, sagt die Besucherin einer Podiumsdiskussion mit Jürgen Zöllner über den neuen Bildungssenator. „Aber“, fügt die Bildungsfachfrau hinzu: „So ganz schlau werde ich aus ihm nicht.“

Eindeutigere Urteile sind schwer zu bekommen über den Mann, der seit einhundert Tagen eines der wichtigsten Ressorts der Stadt leitet: Bildung, Wissenschaft und Forschung stehen im Titel, Familie, Jugend und Hochschulen gehören auch noch dazu. Zum „Supersenator“ wurde Jürgen Zöllner (SPD) aber nicht nur durch die Größe des Ressorts. Dem 61 Jahre alten Professor für Molekularbiologie und Gentechnologie, der seit 1991 Wissenschaftsminister und seit 2006 auch stellvertretender Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz war, eilte der Ruf eines souveränen Fachmanns für Bildungsreformen voraus.

Nicht zuletzt geht es auf seine Initiative zurück, dass Deutschland sich an der internationalen Pisa-Studie beteiligt hat. Und von Hochschulprofessoren wurde Zöllner schon mehrmals zu Deutschlands bestem Wissenschaftsminister gewählt. Kein Wunder, dass Berlin begeistert aufjauchzte, als der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit zwei Tage vor der Vereidigung des Senats den Namen seines neuen Bildungschefs bekanntgab. „Das Beste, was passieren konnte“, und „Wowereits großer Coup“, schrieben die Zeitungen, die Bildungsexperten formulierten euphorisch ihre Erwartungen an den neuen Mann.

Heute klingen die Urteile nüchterner. „Der Lack ist ab“, sagt Rosemarie Seggelke, Chefin der Berliner Bildungsgewerkschaft GEW. Die von Zöllner bislang eingeleiteten Maßnahmen seien ungeeignet, die Probleme der Schulen zu lösen. Erbost sind die Gewerkschafter vor allem über seine Idee, den Lehrermangel in der Hauptstadt mit kurzfristigen Neueinstellungen zu bekämpfen. Die neuen Verträge sollen nur bis zum Schuljahresende gelten. Für Junglehrer sei das keine akzeptable Perspektive, meint die Gewerkschaft. Viele wanderten deshalb in andere Bundesländer ab.

Mit Skepsis betrachten die Lehrervertreter darum auch eine andere Neuregelung Zöllners. Statt Schulen mit 103 Prozent der benötigten Lehrerstunden auszustatten, soll diese Vertretungsreserve jetzt in Geldmitteln zur Verfügung stehen. Schulleiter müssen sich dann selber um Aushilfslehrer kümmern. Eine schwierige Aufgabe, meint GEW-Chefin Seggelke, denn: „Wenn schon für Fünfmonatsverträge kaum Interessenten zu finden sind, wer soll sich dann auf eine vielleicht drei Wochen dauernde Anstellung einlassen?“

Ein bisschen Lob bekommt der Bildungssenator dagegen von Norbert Gundacker, der die GEW im Hauptpersonalrat der Berliner Lehrer- und ErzieherInnen vertritt. Die Projektgruppen, die Zöllner unter anderem zum Abbau von Bürokratie und für eine Qualitätssicherung an Schulen eingerichtet hat, seien „gut besetzt“, meint Gundacker. Dennoch erwarte er „mehr konkrete Vorschläge“: Zöllner bleibe zu oft „im Unverbindlichen“.

Dass der SPD-Senator gerne unverbindlich bleibt, dürfte nicht zuletzt den Koalitionspartner schmerzen. Auf Druck der PDS wurde das Modellprojekt „Gemeinschaftsschule“ im Koalitionsvertrag beschlossen, mit dem der „schrittweise Einstieg“ in diese neue Schulform vollzogen werden soll. Wird Zöllner auf Konzepte für das Schulmodell angesprochen, beginnen seine Antworten gerne mit: „Ich werde hier und jetzt keine konkreten Aussagen …“ Und die Frage, ob „schrittweiser Einstieg“ eine Umstellung des ganzen Schulsystems meint, überhört Zöllner routiniert.

Seine bildungspolitischen Grundsätze wiederholt er dagegen gerne: größtmögliche Eigenverantwortlichkeit der Schulen, Qualitätssicherung und Leistungsprüfungen durch den Staat. Dass er für die Umsetzung dieser Ziele vor allem gegen seine eigene Verwaltung kämpfen muss, weiß Zöllner – vielleicht hält er sich darum so gern bedeckt. Er sei eben „ein Mann der langfristigen Planung“, sagt jemand, der den neuen Senator gut kennt. Im Ministerranking der Hochschulprofessoren muss sich der Supersenator, seit er in Berlin ist, mit Platz 2 zufriedengeben. ALKE WIERTH