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Archiv-Artikel

IN DEN KLEINSTEN DINGEN STECKT DIE GRÖSSTE WAHRHEIT Hippiescheiße und das letzte Blubbern von Knut

VON MARGARETE STOKOWSKI

AUSGEHEN UND RUMSTEHEN

Ich wusste schon immer, dass es eine irrsinnig kranke Scheiße ist, eine 50-Stunden-Woche zu haben. Irgendwelche wilden Frühlingshormone des Übermuts oder auch nur kleine leuchtende Eurozeichen in meinen Augen haben mich aber dazu gebracht, diese irrsinnig kranke Scheiße zu praktizieren. Verteilt auf zwei Nebenjobs, in denen es gelegentlich auch mal mehr zu tun gibt. Mein Studium findet daher zurzeit am Wochenende statt, also in echt gar nicht. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Das ist bei mir meistens am Freitagabend.

Zuerst aber sitze ich am Freitag mit Dania im Wohnzimmer und wir versuchen, irgendwas über Habermas und Anarchie zu schreiben. Stefan sitzt daneben und liest ein Buch. Damit es nicht allzu unwürdig ist, verschönern wir uns die Zeit mit Pizza, Kuchen und Lakritzlikör. Als wir die Hälfte fertig haben, beschließen wir, dass der Text als solcher noch ein bisschen ziehen muss. Ein letztes Aufflackern der Disziplin, als Dania vorschlägt, sich am nächsten Tag mittags zu treffen. Aber da ist die Anti-Atom-Demo, und wie absurd wäre es, zu Hause Theorien über Anarchie zu schreiben, während draußen für eine dermaßen heiße Sache gekämpft wird?

Stefan fängt an, etwas auf der Gitarre zu spielen. Dania packt Habermas weg und ich gieße mir ein Glas Eierlikör ein und mache eine Tafel Schokolade auf. Ich tunke ein Schokostück in den Likör und stecke es Stefan in den Mund. Liebesbeweis meinerseits. „Was ist das?“ fragt er. „Schokolade mit Eierlikör“, sage ich. „Ah“, sagt er, „die ekligen Eier vom Osterhasen kann man sich auch selber machen.“ Er geht in die Küche und nimmt sich einen Whisky. Dania sagt, sie wusste gar nicht, dass Stefan so schön Musik machen kann. Sie sagt, Musik durchströmt bei ihr immer alles, und es löst Grenzen völlig auf und alles wird befreit. Ich sage, sie kann sich ruhig ausziehen, wenn sie mag. Sie guckt mich an: „Ja, das ist Hippiescheiße, oder? Aber es ist wahr.“ Ja, sage ich, Hippiescheiße ist meistens das Wahrste, was es gibt.

Später gehen wir los. Eine Party in der Weichselstraße, das ist nicht weit. Die Wodkaflasche, die wir mitgebracht haben, ist nach zehn Minuten leer. Alle fragen, woher dieser geile Wodka kommt, und ich sage, den gibt es nur in Polen und da auch nur ganz selten. Eigentlich habe ich ihn bei einem Onlineversand in Greifswald bestellt. Ich glaube aber, dass es die Aura von Dingen zerstört, wenn man sagt, dass man sie im Internet gekauft hat.

Im Laufe des Abends finde ich drei neue Facebook-Freunde. Mit unseren Scheiß-iPhones können wir uns gleich adden und bestätigen, das geht ratzfatz. Dann essen wir Glückskekse und reden über schlechten Sex.

Als Stefan und ich nach Hause kommen, beschließen wir noch zu baden. In der Badewanne überlegen wir, was ich zu meinem Geburtstag anziehen könnte. Dann spielen wir mit dem Duschkopf den Tod von Knut nach. Als er unter Wasser ist, steigen sogar echt Luftblasen auf, und wir lachen uns halb tot. Pietätlos gehen wir ins Bett.

Am Samstagabend gehen wir mit unserer Ersatzfamilie essen im „Mädchen ohne Abitur“ und ich erzähle, dass mich neulich eine Freundin fragte, was mit meinem Bauch los sei. Sie dachte, ich wäre schwanger, und ich schämte mich und meinte nur, äh, vielleicht bin ich dicker geworden, weiß nicht.

Aurélie schüttelt den Kopf. „Das war eine total dumme Antwort“, sagt sie mit diesem wunderbaren französisch-englischen Akzent, den außer ihr niemand auf der Welt hat. „Also, du hättest einfach sagen müssen: Das ist meine Wampe, du Opfer!“ Alle nicken und beschließen, dass Aurélie es verdammt noch mal voll drauf hat.