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Archiv-Artikel

Im Albtraumland

OPER Katharina Wagner inszeniert in Mainz Eugen d’Alberts „Tiefland“, ein von Hitler hoch geschätztes Bühnenwerk

Martas Erzählung von ihrer traumatischen Kindheit wird zu einem berührenden Höhepunkt

VON JOACHIM LANGE

Diesmal hat sich die Bayreuther Festspielchefin Katharina Wagner als Regisseurin zwar kein Werk ihres Urgroßvaters vorgenommen. Aber so richtig los kommt sie von dessen Dunstkreis auch mit Eugen d’Alberts (1864–1932) „Tiefland“ nicht. Im weichgespültem Verismo dieser idyllischen Räuberpistole wagnert es vernehmlich durchs brav gestrickte Parlando.

Außerdem ist das Gelände um das 1903 in Prag uraufgeführte und dann recht erfolgreich melodisch ausschweifend und durchschaubar aufs Happy End zu wogende Stück durch die deutsche Rezeptionsgeschichte kontaminiert. „Tiefland“ gehörte nämlich zu Hitlers Opernfavoriten und seine Leib-und-Magen-Regisseurin Leni Riefenstahl annektierte das Stück obendrein für ihr ästhetisches (Bilder-)Reich. Samt zwangsverpflichteter Sinti und Roma als Statisten und mit unklarem Schicksal!

Doch d’Albert ist nicht Wagner. Und anders als bei Katharina Wagners offensiv werkkritischen Bayreuther „Meistersingern“ ist im Falle „Tiefland“ schon die demonstrativ subjektive Hinwendung zum Stück und zu der Musik selbst ein legitimes Statement. In Mainz haben sie dabei im Bühnen-Tiefland, zumindest auf den ersten Blick, nicht alle Tassen im Schrank. Eine davon jedenfalls ist zu einer Sitzkoje wie in einem Karussell vergrößert und bequem zu besteigen. Diese (Albtraum-)Wunderland-Nummer mag absurd klingen, passt aber schlüssig in die Tiefland-Welt, die Katharina Wagner in einem ziemlich rigorosen Fantasieausbruch erfunden hat.

In Monika Goras Bühne steht erst ein Zelt mit weißer Membran für das Hochland des geradlinig naiven, sich nach einer Frau sehnenden Hirten Pedro. Ein opulenter Mix aus grotesk märchenhafter Turm-, Tor- und Treppenlandschaft für das aus der Sicht des Hochlandes verrückte Tiefland, in dem Menschen in Clowns-Kostümen dauernd Briefe aus einem Müllcontainer werfen, ein gefährlich aufgedrehtes Frauentrio Männer zerfleischt oder auf Leichten reitet und ein Kind mysteriöse Dreiradrunden dreht. Und in dem der mächtige Sebastiano dem armen Pedro die Rolle eines Scheinehemannes für seine Geliebte Marta zu gedacht hat, während er sich durch eine reiche Heirat seinerseits sanieren will.

Immerhin schafft die Albtraumkulisse so viel Distanz zum schwülstig wehleidigen Pathos der Geschichte, dass Martas Erzählung von ihrer traumatischen Kindheit zu einem berührenden Höhepunkt wird. Aus der Perspektive Martas erscheint Sebastiano mit unterschiedlichen Insignien männlicher Machtausübung. Ihn umgeben einmal die militante Aura einer Uniform, dann der scheinheilige Glanz eines Kirchenfürsten, die Magie eines Zauberers und schließlich die Allmachtsattitüde eines Märchenkönigs.

Was ihm freilich am Ende auch nichts nützt. Da ist die reiche Braut abgesprungen und der nur vermeintlich „gekaufte“ Scheinehemann Pedro kämpft für seine inzwischen gewachsene Liebe zu Marta und revoltiert schließlich gegen den Missbrauch seiner Naivität und Geradlinigkeit.

Dass die moralisch reine Bergluft das in jeder Hinsicht verkommene Tiefland neu beleben könnte, ist auch in dieser Lesart nur eine Illusion. Denn als Marta und Pedro sich in Richtung Hochland aufmachen wollen, da geht jenes unschuldig weiße Zelt, von dem Pedro einst ins Tiefland aufbrach und das seither wie ein ferner aber klarer Kristall über der Szene schwebte, in Flammen auf.

Musikalisch bewegt sich die Mainzer Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt mit ihrem Orchester am oberen Rand ihrer Möglichkeiten. Die drei wichtigsten Partien sind mit Heikki Kilpeläinen (Sebastiano), Alexander Spemann (Pedro) und Sonja Mühleck (Marta) hervorragend besetzt. Auch die kleineren Partien stehen dem in nichts nach. Und weil es Katharina Wagner gelingt, d’Alberts musikalisch mitunter etwas fader Berg-und-Tal-Wanderung fern von jeglichem Heimatfilmnaturalismus und politischem Diskurs mit einer gehörigen Portion von wohltuend respektloser, magisch fantastischer Psychologisierung eine autonome Ästhetik zu verpassen, nimmt diese Mainzer „Tiefland“-Produktion auch für das nicht unproblematische Stück ein.

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