: Orkan Kyrill killt Existenzen
Nach dem Sturm: Waldbauern bangen um ihre Existenz und fordern Hilfe vom Land NRW und von der EU. Bauernverbände setzen auf eine Schadenshöhe von mehr als drei Milliarden Euro
VON JOHANNA RÜSCHOFF
Nach dem Orkan Kyrill fürchten Nordrhein-Westfalens Waldbauern um ihre Existenz. Ein Großteil von ihnen hat nach Angaben des Waldbauernverbandes den gesamten Holzbestand verloren: Kyrill knickte im Januar 25 Millionen Bäume um. „Viele stehen vor einer gigantischen Aufgabe“, so Dietrich Nesselrode, Vorsitzender des Waldbauernverbandes NRW. Sie hätten den gesamten Bestand verloren, der während zwei Menschengenerationen gewachsen sei. Um die Verluste möglichst gering zu halten, müssten nun enorme Mengen Sturmholz schnell verkauft werden, so Nesselrode.
Deshalb fordert der Waldbauernverband NRW zusammen mit dem Westfälisch-Lippischen Bauernverband (WLV) Hilfe vom Land: vor allem sollen die Bauern steuerlich entlastet werden. Zwar sind 65 Prozent des Waldes in NRW in privatem Besitz. Der Wald erfülle aber eine Sozialfunktion und deshalb stehe auch die Öffentlichkeit in der Pflicht, so Nesselrode. CDU-Umweltminister Eckard Uhlenberg hat seine Unterstützung angekündigt. Die Steuerentlastung ist nach Angaben seines Sprechers Markus Fliege bereits bewilligt. Sie ist wichtig, weil die Bauern durch das Sturmholz in diesem Jahr ungewöhnlich hohe Umsätze erzielen werden – die Preise sind dennoch stabil. Damit müssten die Waldbauern, bedingt durch die progressive Einkommenssteuer, einen höheren Steuersatz zahlen – und weitere finanzielle Einbußen hinnehmen. Dem will Uhlenberg mit der Senkung der Steuerklasse entgegenwirken.
Daneben hat der Waldbauernverband gefordert, Uhlenberg solle die so genannte Nasslagerung des Holzes bezuschussen. Große Mengen müssen vor Schädlingen, insbesondere dem Borkenkäfer geschützt werden, indem sie ständig feucht gehalten werden. Das lehnt Uhlenberg nach Angaben von Nesselrode bis jetzt aber ab.
Doch die Verbände wollen nicht nur das Land, sondern auch die EU in die Pflicht nehmen. „Land und Bund müssen sich gemeinsam in Brüssel dafür einsetzen, dass Kofinanzierungsmittel bereitgestellt werden“, sagte WLV-Sprecher Hans-Heinrich Berghorn zur taz. Das Geld soll aus dem so genannten Sozialfonds kommen. Eingesetzt werden könnte es, um die Straßen nach dem Abtransport des Holzes wieder herzurichten. „Das Abtransportieren gleicht einer Schlammschlacht und verwüstet die Infrastruktur. Wir brauchen unbedingt finanzielle Hilfe beim Wiederaufbau“, so Nesselrode.
Der EU-Sozialfonds wurde für Katastrophen eingerichtet, deren Schaden sich auf mindestens 3,3 Milliarden Euro beläuft. Ob das bei Kyrill der Fall ist, ist bis jetzt noch unklar. Uhlenberg will nun nach eigenen Angaben die Schadenshöhe so schnell wie möglich ermitteln.
An die Wiederaufforstung denken zur Zeit nur die Umweltverbände. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sieht der Wiederherstellung des Waldbestands nach Angaben von Sprecher Dirk Jansen jetzt schon mit Sorge entgegen. „Es ist wichtig, dass bei der Aufforstung der Klimawandel berücksichtigt wird. Wir hoffen, das die Chance genutzt wird“, so Jansen. Nach Kyrill müsse der Wald in stabilen Mischwäldern umgeformt werden. Vor dem Sturm bestanden 50 Prozent der Wälder in NRW aus Fichten. Der BUND fordert, verschiedene Arten wie Bergahorn, Eichen und Linden anzupflanzen, um den Wald weniger anfällig für Stürme zu machen.
Den NRW-Waldbauern geht es dagegen um ihr finanzielles Überleben und deshalb an erster Stelle um den Verkauf des Holzes und die Unterstützung der schwarz-gelben Düsseldorfer Landesregierung. Klappt das, bleibt ihnen nur noch zu hoffen, dass der Gesamtschaden möglichst hoch beziffert wird: mindestens mit 3,3 Milliarden Euro.