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Archiv-Artikel

Wenn im Viertel die Jalousien runtergehen

Beim „Stammtisch Nationaler Kräfte“ in Garbsen spielten nicht nur die NPD-Liedermacherstars Annett und Michael. Auch Thorsten Heise, Mitglied im NPD-Vorstand, war da und schwärmte von der Wirtschaftspolitik im Dritten Reich

„Stammtisch“, das klingt nach einer kleinen Runde. Zum „Stammtisch Nationaler Kräfte“ (SNK) aber kamen am vergangenen Freitagabend über 110 Neonazis. In der Sportgaststätte im Garbsener Stadtteil Meyenfeld wollten sie die Rede von Thorsten Heise, Mitglied im NPD-Bundesvorstand und Kameradschaftsführer, und die Lieder von Annett und Michael, Liedermacherstars bei der NPD, erleben.

Im Gebäude kontrollierte die Polizei die Gäste, worüber einige Stammgäste an der Theke wenig erfreut waren. Am Haupteingang der Gaststätte, die am Rande des Neubauviertels in einer Sackgasse liegt, standen als Einlasskontrolle indes Aktivisten der „Kameradschaft Weserbergland“. Die Veranstaltung zwischen Politik und Konzert hatten die Neonazis um Gerrit Gagelmann und Marcus Winter konspirativ vorbereitet. „Großraum Hannover“ war der einzige örtliche Hinweis aus der Szene für die Szene, für alle weiteren Informationen gab es eine Telefonnummer, die man am Veranstaltungstag anrufen sollte.

An der Abfahrt Garbsen von der Autobahn war am Freitag ein so genannter Schleusepunkt. Der Dresscode musste passen. Die Rechten versuchten so, die Anreisenden zu der Gastsstätte zu kontrollieren und ungebetene Besucher fern zu halten. Denn die Neonazis wollen unter sich bleiben. Sie fordern zwar immer wieder alle demokratischen Rechte für ihre Auftritte ein, dulden aber keine selbständige Öffentlichkeit bei ihren Veranstaltungen.

Kaum waren den Neonazis die Journalisten und Fotografen aufgefallen, begannen die Pöbeleien. Um ungefährdet arbeiten zu können, hatten die Journalisten die Polizei herbeigerufen. Polizeikräfte hätten schon bereitgestanden, erklärt ein Pressesprecher der Polizei Hannover. Er versichert zudem, dass die Veranstaltung sehr genau beobachtet wurde. Ein Anlass zum Einschreiten sei aber nicht gegeben gewesen, versichert der Polizeisprecher, „trotz sehr geringer Toleranzschwelle“. Die Wirtin hatte indes Angst bekommen: In ihren Räumen waren schon mal die rechtsextremen Republikaner eingekehrt.

Nach Informanten aus der Szenen schwärmte NPD-Mann Heise derweil in seinem Referat „Wirtschaftspolitik im Dritten Reich – Wirtschaftspolitik heute“ über die „positiven Errungenschaften“, die die Nationalsozialisten für die „deutschen Arbeiter und das deutsche Volk“ erreicht hätten. Heise hob die „Wohn- und Arbeitsverhältnisse“ hervor, Adolf Hitler hätte den Spekulanten den Kampf angesagt und so die Arbeitslosigkeit besiegt. Heise weiß aber auch, dass „für viele deutsche Volksgeschwister das Thema Nationalsozialismus“ mit vielen „negativen Vorurteilen“ besetzt sei, so dass mit diesem „Thema kein Blumentopf“ zu gewinnen sei.

Vor der Gasstätte indes gingen Neonazis gegen die Journalisten an. Die daneben stehende Polizei beeindruckte das wenig. Eine Journalistin wollte ihren Wagen in einer Sackgasse parken, aber Neonazis folgten dem Fahrer und versperrten ihm den Weg. Als die Polizei erschien, warf sich einer der Rechten auf den stehenden Wagen und stellte Anzeige gegen den Fahrer.

Im Saal machten derweil Annett und Michael mit ihren „lustigen, kämpferischen“ Liedern Stimmung. In den angrenzenden Häusern zogen im Laufe des Abends viele Anwohner ihre Jalousien runter. Andreas Speit