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Archiv-Artikel

„Ein Rückfall ist jederzeit möglich“

Vor 20 Jahren wurde das Frauenministerium gegründet und Rita Süssmuth die erste Chefin. Frauenpolitik sei wichtiger denn je, denn alte Rollenmuster wären schnell zur Hand, sagt sie. Das zeige etwa die aktuelle Debatte um Kinderbetreuung

RITA SÜSSMUTH (CDU), geboren 1937, war von 1985 bis 1988 Bundesministerin für Jugend, Familie, Gesundheit und Frauen (ab 1986). Danach amtierte sie bis 1998 als Präsidentin des Deutschen Bundestages. Anfang der 80er-Jahre leitete sie das Institut Frau und Gesellschaft in Hannover.

INTERVIEW ULRIKE WINKELMANN

taz: Frau Süssmuth, Sie haben durchgesetzt, dass aus dem Familien-, Jugend- und Gesundheitsministerium 1987 auch das Frauenministerium wurde. Heute kämpft Ihre Nachfolgerin Ursula von der Leyen für die Betreuung der unter 3-Jährigen. Werden die wahren geschlechterpolitischen Revolutionen von CDU-Frauen gemacht?

Rita Süssmuth: Nein. Wir CDU-Ministerinnen konnten darauf aufbauen, was SPD- und später die Grünen-Politikerinnen bekannt gemacht haben. Aber in der Geschlechterpolitik ist es wie mit der Friedenspolitik etwa in Israel.

Wie das?

Manchmal sind es konservative Politiker, die Dinge tun können, die andere nicht durchgesetzt haben. Erstens kann die Opposition – beziehungsweise die SPD in einer großen Koalition – dann nicht mehr dagegen sein, denn sie hat ja vorher das Gleiche gefordert. Zweitens ergibt sich aus der politischen Psychologie, dass eine Forderung dann als seriös gilt, wenn sie auch von Konservativen aufgestellt wird. Und nicht zu vergessen: der Faktor Zeit. Was schon in den 80ern eine Notwendigkeit war, ist heute überfällig. Aber jede grundlegende Veränderung in der Gesellschaft braucht eine Avantgarde.

Was hat sich dadurch geändert, dass das Familien-, Jugend- und Gesundheitsministerium auch ein Frauenministerium wurde?

Nun, durch die Frauenministerien und die -beauftragten kamen Frauen ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, auch der politischen. Ihre Belange wurden Thema und Verpflichtung. Es wurde dadurch auf institutioneller Ebene verankert, dass Frauen mehr sind als Familie, sondern dass sie auch berufstätig sind. Eigentlich müsste eine Demokratie ohne solche Krückstöcke auskommen. Aber es hat sich gezeigt, dass spezielle Unterstützungsmaßnahmen nötig waren, um Frauen bei gleicher Qualifikation Zugang zu allen gesellschaftlichen Bereichen zu verschaffen. Vor diesem Hintergrund bezweifle ich auch, dass Gender-Mainstreaming etwas gebracht hat. Wenn nicht konkrete Personen in konkreten Institutionen konkrete geschlechterpolitische Forderungen formulieren, passiert nicht viel.

Hat die Aufnahme der Frauen in den Ministeriumstitel nicht gleichzeitig zur symbolischen Abwertung ihrer Belange beigetragen – Stichwort „Frauen und Gedöns“?

Das glaube ich nicht. Über das Wort Gerhard Schröders vom Gedöns war ich – zynisch gesprochen – regelrecht erfreut, weil dadurch die Diskriminierung einmal wieder deutlich zum Ausdruck kam. Wer bislang freilich die Einstellung hatte, „Frauenpolitik, so etwas brauchen wir nicht und das ist nicht wichtig“, dürfte sich spätestens in der aktuellen Demografiedebatte noch einmal über veränderte Rollenmuster Gedanken machen.

Wenn maßgebliche Teile von Wirtschaft und Politik angesichts der demografischen Entwicklung die Bedeutung von Geschlechterverhältnissen und familienpolitischen Neuerungen erkennen – könnten wir das Ministerium nicht gleich in Demografieministerium umtaufen?

Nein. Das wäre eine diffamierende Verkürzung der Fragen von Gleichberechtigung und Gleichstellung und eine Instrumentalisierung der Frau zu demografischen Zwecken. Es muss gelingen, die Demografiedebatte so zu führen, dass wir nicht auf alte Rollenmodelle zurückfallen. Das wäre ein qualitativer zivilisatorischer Sprung, wenn es gelänge, anhand der demografischen und gesellschaftlichen Entwicklung Versäumnisse und Chancen der Geschlechterpolitik aufzuzeigen.

Sie wurden vor 20 Jahren vom Unions-Establishment heftig bekämpft. Ist es derselbe Wind, der Ursula von der Leyen heute im eigenen Lager ins Gesicht weht?

Frau von der Leyens Position ist im Wesentlichen ähnlich. Es ist immer wieder erstaunlich, wie langsam mentale und soziale Veränderungen im Vergleich zu technischen Veränderungen sind. Auffassungen, die wir für längst überholt hielten, haben sich in Wirklichkeit gar nicht grundlegend verändert. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Satz wie der von Bischof Mixa mit den „Gebärmaschinen“ im Jahr 2007 noch möglich ist. Zwar waren insgesamt die Vorwürfe gegen mich massiver. Frau von der Leyen hat auch schon viele neue Unterstützer gefunden, nicht nur aus dem eigenen Lager. Doch es zeigt sich wieder: Wir stehen noch ganz am Anfang, und ein Rückfall ist jederzeit möglich.