: Die Liebe zu alten Dingen
WANDERKINO Mit einem ausgedienten Feuerwehrauto ziehen Tobias Rank und Gunthard Stephan jeden Sommer durchs Land. Sie zeigen Stummfilme, die sie live mit Piano und Geige begleiten. In dieser Woche sind sie auf Sylt, in Duvenstedt und in Bremen zu Gast
VON WILFRIED HIPPEN
Der Film im traditionellen Sinne stirbt aus. Die klassische Filmrolle jedenfalls, die als Trägermedium durch einen Projektor läuft, der Bilder auf einer Leinwand erzeugt, wird kaum noch verwendet, denn die digitale Umrüstung der Kinos ist so gut wie abgeschlossen. Aber es gibt immer auch Gegenentwicklungen und Nischen: So wie Schallplatten aus Vinyl seit einigen Jahren neue Wertschätzung erleben, gibt es auch ein Bedürfnis nach handgemachtem Kino mit flackernden Schwarzweißbildern und dem Laufgeräusch des Projektors.
So ein nostalgisches Kinoerlebnis bieten Tobias Rank und Gunthard Stephan aus Leipzig, die seit 15 Sommern mit ihrem Wanderkino durch die Lande ziehen. Sie zeigen Stummfilme und spielen jeweils live die Begleitmusik. Die beiden sind klassisch ausgebildete Musiker, der eine ist Pianist und der andere spielt Geige. Sie verstehen ihre Filmvorführungen immer auch als kleine Konzerte.
Die beiden Musiker wollen wissen, wie die Musik die Wirkung eines Films verändern kann. Einige Filme in ihrem Repertoire haben sie bereits mehr als 100-mal aufgeführt, aber sie begleiten sie jeden Abend ein wenig anders, reagieren dabei auf die jeweilige Stimmung des Publikums und verändern so deren Rezeption des Films. Rank ist wichtig, dass sie „dem Film dienen, sich ihm unterordnen und sich nicht, wie andere Stummfilm-Musiker, auf seine Kosten hervortun“, sagt er. Mit den Jahren haben Rank und Stephan ihre eigene Filmsprache entwickelt und können heute frei zu den Stummfilmen improvisieren.
Bei Rank kommt als Motivation hinzu, was er „die Liebe zu den alten Dingen“ nennt. Darum arbeiten Rank und Stephan konsequent nur mit anachronistisch wirkenden Maschinen. Sie haben ein rotes Feuerwehrauto der Marke Magirus Deutz aus dem Jahr 1969 so umgebaut, dass es ihre gesamte Technik transportieren kann. An der Seite wird ein Holzrahmen heruntergeklappt, auf den die Kinoleinwand gespannt wird. Meistens schlafen die beiden auch in ihrem Oldtimer.
Ihre Kinotechnik besteht aus einem kleinen 16-Millimeter-Vorführgerät, wie man es früher in Schulklassen oder beim Heimkino verwendet hat. Die Projektion ist also alles andere als perfekt. Das Bild ist manchmal ein wenig unscharf, man sieht Kratzer auf den alten Filmkopien, es gibt Sprünge in den Filmsequenzen weil einzelne Bilder fehlen und ab und zu reißt der Film sogar. Aber gerade das Unperfekte macht den Reiz ihrer Vorführungen aus.
Einer der beiden kümmert sich auch um die Projektion und muss in kritischen Momenten dann plötzlich mit dem Musizieren aufhören. So wird jede Vorführung zu einer Performance, bei der sichtbar wird, dass hier alles handgemacht ist.
Meist zeigen sie ihre Filme Open Air. Mal vor 30 und mal vor 400 Zuschauern. Bei einem großen Publikum stößt ihre Technik an ihre Grenzen, denn die Leinwand ist zu klein und die Tonanlage nicht stark genug. Im Schnitt kommen 150 Besucher, die auf Holzstühlen oder Bänken sitzen und meist ein gemischtes Programm von Slapstick und Filmkunst zu sehen bekommen. Im Repertoire haben Rank und Stephan auch die langen Klassiker wie „Metropolis“, „Faust“ und „Nosferatu“, aber lieber spielen sie kürzere Filme und Komödien.
Rank mag am liebsten die Grotesken von Mack Sennett, die er sich immer noch gerne ansieht, weil er „etwa bei einer Nebenhandlung oder am Bildrand immer noch etwas Neues“ entdecken kann, sagt er. Mit Sennetts „The Wacky World of M. S.“ von 1914 beginnen sie auch ihren ersten Abend auf dem Rasen vor den Weserterrassen in Bremen. Das Wanderkino im Feuerwehrauto gastiert hier am Sonntag, Montag und Dienstag mit einem typischen Programm: Es gibt Kurzfilme von Charlie Chaplin und Buster Keaton, das Experimentalwerk „Rhythmus 21“ von Hans Richter aus dem Jahr 1922 und den 1989 mit einem Oscar prämierte Animationsfilm „Balance“ von C&W Lauenstein. Letzter ist zwar streng genommen kein Stummfilm, aber man kann gut den nur aus Geräuschen und Musik bestehenden Ton ausstellen und selbst etwas dazu spielen. So machen es die Musiker Rank und Stephan.
Für Tobias Rank ist sein Wanderkino ein real gewordener Jungstraum. Zuerst war das Projekt nur für einen Sommer konzipiert. Doch der Erfolg war so groß, dass sie seitdem im Sommer mit ihrem Kino herumreisen. Im Winter geben sie Musikunterricht. Rank reist gerne und so hat er schon als Gastdozent in Mumbai und Bangkok gelehrt.
Mit ihrem Feuerwehrauto wurden sie über die Jahre nach Italien, Frankreich, Slowenien, Polen, Litauen, Tschechien, Schweden, Dänemark und die Schweiz eingeladen. In der Schweiz gibt es seit einiger Zeit mit dem „Wanderkino-Kulturbau“ in Winterthur einen Nachahmer, der mit einem ganz ähnlichen Konzept ein nostalgisches Freilichtkino anbietet.
Heute Abend gastiert das Wanderkino auf der Wiese vor dem Kurhaus in Rantum auf Sylt, am Samstag in Alt Duvenstedt vor dem Seehotel und von Sonntag bis Dienstag auf der Wiese vor den Weserterrassen in Bremen. Weitere Termine und Infos: www.wanderkino.de