CLEMENS A. SCHÖLL DER WOCHENENDKRIMI : Todesfall vergessen
Der kleine Mann mit Hut, der anfangs durchs verschneite Berlin stapft, ist schnell tot. Kaum dass die Zuschauer Sympathie für ihn entwickeln, liegt er auf dem Autopsietisch, wo aufstrebende Studenten die Fragen der Kommissare Ritter (Dominic Raacke) und Stark (Boris Aljinovic) beantworten. Als nach etwas mehr als einer Stunde sein Tod aufgeklärt wird, geschieht das sehr beiläufig.
Weder hält es die Regie für nötig, den Handlungsverlauf deshalb neu zu justieren, noch ist der Zuschauer überrascht oder befriedigt von der Bekanntgabe des Schuldigen. Zu sehr ist der Berliner „Tatort“ zu diesem Zeitpunkt zu einem Aufklärungsstück über die Unmenschlichkeiten des medizinischen Systems in Deutschland geworden und die Frage, ob es legitim ist, dies illegal zu unterwandern.
Das Punktesystem für Arztpraxen wird verständlich erklärt, das Leiden der Opfer ebenso eindringlich geschildert wie das Dilemma der Ärzte, personifiziert in Dr. Gerhard Schmuckler (Dieter Mann), der zwischen Empathie und Geldzwängen entscheiden muss.
Wenig stimmig dagegen der Rest der Handlung und des Personals. Ein Juniorarzt, seine Ehefrau, eine ehrgeizige Ärztin, die in die Praxis einsteigen möchte, und, nicht zu vergessen, ein gemeiner Banker. Während sie agieren, sich streiten, bleibt viel Zeit zum Bierholen oder Im-Web-Nachsehen, ob es das Medikament Azathioprin wirklich gibt (es gibt). Und schaut man zwischendurch doch mal fern, sieht man schon wieder den gar nicht so unwiderstehlichen Kommissar Ritter beim Flirten.
Immerhin: Das zweite Opfer wird recht klassisch ins Jenseits befördert und sein Tod in einer Weise aufgeklärt, die zeigt, was hätte sein können, wenn die Regie etwas häufiger daran gedacht hätte, dass der „Tatort“ ein Krimi ist und deshalb bei der Aufklärung gesellschaftlicher Missstände die der Todesfälle nicht vergessen werden sollte.
■ Berlin- „Tatort“: „Edel sei der Mensch und gesund“, So., 20.15 Uhr, ARD