zwischen den rillen
: Der Krautsound des Hier und Jetzt

Die hohe Kunst des trockenen Groove: „Steingarten“, das neue Alben von Pole, und „Telescope Mind“ von Tussle

Ausgerechnet das Schloss Neuschwanstein! Mit so viel starkem Zeichen war nun wirklich nicht zu rechnen für das neue Album des Berliner Musikers Stephan Bethke, der unter seinem Pseudonym Pole in den mittleren Neunzigern eine ganz eigene Spielart des elektronischen Minimalismus entwickelt hatte, als er das Knacksen eines kaputten Waldorf-Pole-Filters in riesige Hallräume schickte. Die Platten hatten, dazu passend, Zahlen als Titel und einfache Farben als Cover.

Doch so bahnbrechend diese Alben waren (und sosehr sie Pole große internationale Aufmerksamkeit und für eine Zeit lang sogar Ruhm einbrachten): niemand lässt sich gerne auf einen bestimmten Sound reduzieren. Bethke fing an, mit dem Bandformat zu experimentieren, zog einen Rapper hinzu und ließ ihn wieder gehen. Um für sein neues Album „Steingarten“ nun einen ganz anderen Klangentwurf zu präsentieren. Der alte Minimalismus grüßt noch vom Horizont, aber er schaut ganz anders aus – Stefan Bethke hat sein ganz eigenes Krautdub-Programm entwickelt.

Keines der Elemente des alten Pole-Sounds ist verschwunden: der schwere Bass genauso wenig wie der meist schleppende Rhythmus und die eigenartigen Störgeräusche, die durch den Raum hallen. Manchmal hört man sogar den alten Waldorf-Filter noch herumknistern. In dieser Leichtigkeit haben sie allerdings bislang nie zusammengefunden. Sei es die Bassgitarrenlinie, um die sich das Auftaktstück „Warum“ herumwickelt, sei es der Bass des wunderschönen Stücks „Winkelstreben“, der sich mit einem Gitarrengezerre ins Einvernehmen setzt, oder das majestätische „Pferd“ oder das Doppel „Jungs“ und „Mädchen“. So referenzfrei das daherkommt, muss man diese Musik nicht krautig nennen – aber dass Bethke seinen Stücken Titel wie „Düsseldorf“ gibt, wird nicht nur daran liegen, dass er dort geboren ist. Es dürfte auch dem Anliegen geschuldet sein, seinen Sound in einem international sofort erkennbarem Soundkontinuum zu verorten.

Ein Universum, dem auch Tussle einiges verdanken, ein Quartett aus San Francisco, dessen Platten bei dem norwegischen Label Smalltown Supersound erscheinen. Dass Tussle dabei einiges konventioneller vorgehen als Pole, muss nicht gegen sie sprechen. Die Gruppe besteht aus zwei Schlagzeugern, einem Bassisten und einem Mann am Sampler, und das prototypische Tussle-Stück kann man sich ungefähr so vorstellen wie „Warning“: Der Bass gibt einen großen, leicht angeeckten Lauf vor, nach einigen Takten setzt das Schlagzeug ein und später wird noch ein bisschen drübergefiept. Wenn es nicht ganz so gut läuft, dann fiept es eine ganze Weile und die Gruppe verpasst es, den Groove zu finden, wie in „Kinderlied“.

Selbstverständlich steht dieser Klangentwurf vor allem in der Tradition des trockenen New Yorker Frühachtziger-Funk, den Gruppen wie Liquid Liquid und ESG damals formulierten. Aber ob wissentlich oder nicht: in diesem Sound war vieles von jenen Klangideen eingekapselt, die einige Jahre vorher in und um deutsche Kunsthochschulen herum entwickelt worden waren.

TOBIAS RAPP

Pole: „Steingarten“ (scape/Indigo), Tussle: „Telescope Mind“ (Smalltown Supersound/Rough Trade)