: Ungeliebter Besuch aus dem Norden
Sechs Tage lang bereist US-Präsident Bush Lateinamerika – immer bemüht, Interesse zu zeigen und seinem Gegenspieler Hugo Chávez Paroli zu bieten. Dazu lässt Bush sogar die „Allianz für den Fortschritt“ Präsident Kennedys wieder aufleben
VON BERND PICKERT
Seit gestern ist US-Präsident George W. Bush unterwegs: Weg von den Streitigkeiten in Washington über verurteilte ehemalige Büroleiter und unzureichend versorgte Irakveteranen reiste Bush gestern nach Brasilien, der Auftaktstation einer sechstägigen Reise durch fünf lateinamerikanische Länder. Anschließend will Bush Uruguay, Kolumbien, Guatemala und schließlich Mexiko besuchen. Seine Botschaft wird überall ähnlich sein: Die USA haben ein Interesse an ihren südlichen Nachbarn, ihnen ist Lateinamerika nicht egal.
Nicht umsonst nahm Bush am Montag große Worte in den Mund: In Erinnerung an die 1961 von Präsident John F. Kennedy ins Leben gerufene „Allianz für den Fortschritt“ verkündete Bush bei einer Rede vor der Lateinamerikanischen Handelskammer in Washington neue Entwicklungshilfeinvestitionen und Sozialprogramme für Lateinamerika. Die Armut im Subkontinent sei unerträglich, sagte Bush. Viele Beobachter schalteten sofort: Da macht sich ein in der Region unbeliebter Präsident auf, seinen Hauptgegner, den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, mit den eigenen Waffen zu schlagen. Insofern stimmt das historische Bild: Auch Kennedys Allianz für den Fortschritt war zuallererst eine Reaktion auf die kubanische Revolution und die – bis weit in die 80er-Jahre hinein gehegte – Befürchtung der USA, dass ein Land nach dem anderen in den Griff linker Revolutionäre kommen könnten. Mit Präsident Richard Nixon fiel die soziale Komponente dann weg und übrig blieb die Repression mit Washingtons Wohlwollen bis hin zur Unterstützung der Militärdiktaturen der 70er- und frühen 80er-Jahre.
Von den fünf Ländern, die Bush besuchen will, werden drei von konservativen und zwei von moderat linken Regierungen geführt: Während Bush mit Präsident Lula da Silva in Brasilien den wichtigsten Führer der eher sozialdemokratischen Linken trifft – und einen Tag später mit Uruguays Präsident Tabaré Vazquez so etwas wie dessen kleinen Bruder –, regieren in Kolumbien und Guatemala die treuesten Allierten der USA auf dem Subkontinent und in Mexiko der konservative Präsident Felipe Calderón
Doch obwohl Bush Venezuela keinen Besuch abstattet, bleibt Chávez, der Anführer des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ dem US-Präsidenten stets auf den Fersen. Wenn Bush heute in Uruguay weilt, ist Chávez nur einen Bootstrip über den Rio de la Plata entfernt: In Argentinien will er heute eine Großdemonstration gegen Bush anführen. Und wenn Bush Kolumbien besucht, ist Chávez bereits im benachbarten Bolivien bei seinem Freund und Verbündeten Evo Morales.
Auf Proteste wird Bush überall treffen: Bereits am Mittwoch gingen StudentInnen und Opposition in Kolumbiens Hauptstadt gegen Bush auf die Straße, auch in Brasilien und Uruguay sind Proteste angekündigt. Bei Bushs letztem Lateinamerikabesuch im argentinischen Mar del Plata 2005 erreichten Demonstranten und anwesende Staatschefs, dass das von den USA lancierte Großprojekt einer gesamtamerikanischen Freihandelszone (Alca) der Geschichte angehört.
Jetzt will Bush jenen entgegentreten, die den USA vorwerfen, in den letzten Jahren jegliches Interesse an Lateinamerika verloren zu haben. Doch die Initiativen bleiben Stückwerk. Mit 75 Millionen US-Dollar wollen die USA in den kommenden drei Jahren Bildungsprogramme finanzieren, damit lateinamerikanische Schüler englisch lernen und Stipendien für ein Studium in den USA gewinnen können. Ein Militärhospitalschiff soll in Häfen von zwölf lateinamerikanischen Ländern festmachen, um an Bord bis zu 85.000 Patienten zu behandeln und 1.500 Operationen vorzunehmen – eine direkte Gegenveranstaltung zu den in vielen Ländern tätigen kubanischen Ärztebrigaden.
In Brasilien will Bush sich genau das Ethanol-Programm ansehen. Angesichts der immer drängenderen Suche nach Alternativen zum Öl hat Bush größtes Interesse signalisiert, sich in diesem Bereich der alternativen Treibstoffgewinnung mit Brasilien kurzzuschließen. Auch das richtet sich gegen Chávez: Der Venezolaner betreibt seit Jahren mit Angeboten auf verbilligte Öllieferungen Bündnispolitik in Lateinamerika – und das mit Erfolg.
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