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Archiv-Artikel

Konkurrenz vom neuen Politstar

BRASILIEN Marina Silvas Kandidatur bringt Präsidentin Dilma Rousseff in Bedrängnis. Silva steht für Ökologie und traditionelle Familienwerte

Marina Silva war die erste Umweltministerin unter Präsident Inácio Lula da Silva

AUS RIO ANDREAS BEHN

Eine völlig neue Konstellation bringt Spannung in den Wahlkampf um die Präsidentschaft Brasiliens. Die äußerst populäre ehemalige Umweltministerin Marina Silva wurde am Mittwoch von der gemäßigt sozialistischen PSB offiziell zur Kandidatin für das höchste Staatsamt gekürt. Meinungsumfragen zufolge kann sie den sicher geglaubten Wahlsieg von Amtsinhaberin Dilma Rousseff gefährden.

Ausgangspunkt der dramatischen Wende ist der Tod des bisherigen PSB-Kandidaten Eduardo Campos. Auf einer Wahlkampftour stürzte sein Flugzeug über der Hafenstadt Santos ab. Keiner der sieben Insassen überlebte. Campos wollte einen dritten Weg zwischen der gemäßigt linken Arbeiterpartei PT von Rousseff und der rechten PSDB aufzeigen, die seit 20 Jahren das Rennen um die Präsidentschaft im größten Land Lateinamerikas unter sich ausmachen. Dazu führte er seine Partei Ende vergangenen Jahres aus der Regierungskoalition mit der PT und gewann Silva als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft.

Zwar ist Marina Silva seit bald einem Jahr Parteimitglied, doch nur, weil ihrer politischen Bewegung „Netzwerk für Nachhaltigkeit“ die Einschreibung ins Wahlregister aus formalen Gründen verwehrt wurde. Insbesondere der liberale Flügel der Partei fürchtet, dass die ökologischen Positionen Silvas die neue unternehmerfreundliche Ausrichtung der Partei in Mitleidenschaft ziehen könnte. Unzufrieden sind innerhalb der PSB auch diejenigen, die den Austritt der Partei aus der Regierungskoalition von Rousseff für einen Fehler hielten.

Die neue unternehmensfreundliche Parteilinie soll nun der Vizekandidat Beto Albuquerque repräsentieren. Der Bundesabgeordnete war ein enger Vertrauter von Campos, der in mehreren Bundesstaaten Koalitionen mit rechten Parteien anstrebte. Dennoch schlagen Vertreter des Agrobusiness Alarm, da Silva stets eine radikale Gegnerin der rasantes Ausdehnung der industriellen Landwirtschaft und der einhergehenden Naturzerstörung war. Doch mittlerweile ist die 55-jährige Ökologin Teil der Realpolitik, gibt der Politikwissenschaftler Rodrigo González von der Bundesuniversität in Rio Grande do Sul (UFRGS) zu bedenken: „Vor vier Jahren war Marina Silva eine ökologische Kandidatin mit einem sehr begrenzten Wahlprogramm. Heute sind ihre politischen Positionen noch eine unbekannte Größe, doch sicher ist, dass sie einige Aspekte der unternehmerfreundlichen PSB in ihr Programm aufnehmen wird.“

Schon bei der Wahl 2010 kam Marina Silva als Kandidatin der Grünen-Partei PV auf überraschende 20 Prozent. Ihr Verhältnis zu Dilma Rousseff ist gespannt. Sie war die erste Umweltministerin unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (2003–2010) und warf nach gut fünf Jahren das Handtuch, als der Streit mit der damaligen Kanzleramtsministerin Rousseff um Naturschutzauflagen eskalierte. Mit ihrem Rücktritt und dem späteren Austritt aus der PT bewies sie Rückgrat, was ihr auch jenseits der Umweltbewegungen große Sympathien einbrachte.

Die überzeugte Umweltschützerin ist aber keine Repräsentantin der Linken. Seit 1997 gehört sie der evangelikalen Assembleia de Deus an und vertritt konservative Familienwerte. Sie kämpft gegen das Recht auf Abtreibung und steht in der Diskussion um Homosexualität aufseiten derjenigen, die eine „Heilung“ dieser sexuellen Orientierung propagieren. Aber sie gilt als nicht korrupt und repräsentiert die Unzufriedenheit vieler, die bei den Massendemonstrationen im Juni 2013 auf den Straßen zum Ausdruck gebracht wurde.

Für die PT ist der Aufschwung der Opposition schon jetzt ein Denkzettel. Sie war einst angetreten, das System zu erneuern und die extreme soziale Ungleichheit zu beseitigen. Doch zahlreiche Korruptionsskandale und mangelnde Transparenz haben das Image einer anderen, ethischen Partei demontiert. Inzwischen gilt sie als ganz normale Partei, die sich an die Macht klammert.