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Archiv-Artikel

45 Jahre sind genug

RUHESTAND Seit Juli gibt es die Möglichkeit für besonders langjährig Versicherte, bereits mit 63 ohne Abzüge in Rente zu gehen. Ein Leitfaden, was man dabei beachten muss

VON HOLGER THIESS

Wer 45 Jahre Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt hat und das 63. Lebensjahr vollendet hat, kann ohne Abzüge in Rente gehen. Das ist der wesentliche Inhalt der zum 1. Juli 2014 reformierten „Altersrente für besonders langjährig Versicherte“, genannt „Rente mit 63“. Die Rente wird nur abschlagsfrei gezahlt, eine vorzeitige Inanspruchnahme ist nicht vorgesehen. Voraussetzung ist, dass noch keine Altersrente bezogen wird: Ruheständler, die bereits Rente (gegebenenfalls mit Abschlägen) beziehen, können also nicht nachträglich wechseln.

Tipp: Ist der Rentenbescheid über eine andere Altersrente noch nicht rechtskräftig, kann der Antrag noch zurückgenommen werden. Wer durch die Rente mit 63 besser gestellt wird, sollte dies tun.

Schritt für Schritt zur Rente mit 65

Der Begriff „Rente mit 63“ ist nicht ganz korrekt, denn das Alter von 63 gilt nur für die Jahrgänge 1951 und 1952. Für die ab 1953 geborenen Versicherten wird die Altersgrenze Schritt für Schritt angehoben. Ab dem Jahrgang 1964 liegt die Altersgrenze bei 65 Jahren. Aus der Rente mit 63 wird also die Rente mit 65.

45 Jahre Wartezeit

Die neue Rente belohnt die Arbeitnehmer, die bereits seit jungen Jahren arbeiten und kaum Unterbrechungen in ihrem Erwerbsleben hatten. Auf die sogenannte „Wartezeit“ von 45 Jahren werden vor allem die Pflichtbeitragszeiten aus versicherter Beschäftigung angerechnet. Dazu kommen Berücksichtigungszeiten, Ersatzzeiten und Zeiten, in den Lohnersatzleistungen erbracht worden sind. Nicht angerechnet werden Zeiten der Arbeitslosenhilfe oder des Arbeitslosengeld II.

Anrechenbare Zeiten

Nach § 51 Abs. 3a SGB VI werden auf die Wartezeit angerechnet:

– Zeiten mit Pflichtbeitragszeiten aus versicherter Beschäftigung oder selbständiger Tätigkeit

– Berücksichtigungszeiten wie etwa Kindererziehungszeiten bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr

– auf Antrag auch Zeiten nicht erwerbsmäßiger Pflege vom 1. 1.  1994 bis zum 31. 3. 1995 bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen

– Ersatzzeiten wie etwa Zeiten der Wehrpflicht

– Zeiten des Leistungsbezugs bei Krankheit, Kurzarbeiter-, Unterhalts-, Insolvenz- und Übergangsgeld. Ebenso bei Arbeitslosigkeit mit Anspruch auf Arbeitslosengeld I, dort gilt aber die Ausnahme für die letzten zwei Jahre vor Renteneintritt.

Tipp: Fehlen Belege und Nachweise für Lohnersatzleistungen (Krankengeld, Arbeitslosengeld I, Kurzarbeitergeld, Unterhaltsgeld und Insolvenzgeld), können die Beitragszeiten durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht werden.

Besonderheit beim Arbeitslosengeld

Das Arbeitslosengeld I zählt zu den anrechenbaren Zeiten, wobei hier eine Besonderheit gilt: Da sich Arbeitnehmer mit ihren Arbeitgebern nicht auf eine frühere Beendigung des Arbeitsverhältnisses verständigen sollen, wird der Arbeitslosengeldbezug in den letzen zwei Jahren vor Rentenbeginn nur ausnahmsweise berücksichtigt. Die Arbeitslosigkeit muss entweder durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt sein.

Tipp: Viele Juristen haben Zweifel, ob die Ausnahme nicht auch für andere Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit (zum Beispiel nach betriebs- oder krankheitsbedingter Kündigung) gelten muss. Hier lohnt sich möglicherweise ein Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid. Fehlen noch Beitragszeiten, so können diese notfalls – auch während der Arbeitslosigkeit – durch einen Mini-Job (weniger als 15 Stunden pro Woche) erworben werden.

Antragstellung bei der DRV

Wer sich nicht sicher ist, ob die Voraussetzungen für die Rente erfüllt sind, kann sich seine Beitragszeiten in einer örtlichen Beratungsstelle der Deutschen Rentenversicherung (DRV) ausrechnen lassen; dafür muss er einen gültigen Ausweis mitbringen. Wer die 45 Beitragsjahre sicher zusammen hat und die Rente beanspruchen möchte, stellt den Antrag bei der DRV; das Antragsformular steht auf der Webseite der DRV zum Ausdruck bereit. Die Bearbeitungszeit beträgt etwa drei Monate.

Wer will, darf weiter arbeiten

Niemand wird gezwungen, die Rente mit 63 in Anspruch zu nehmen. Wer möchte, der darf bis zur gesetzlichen Regelaltersgrenze weiter arbeiten; dies hat den Vorteil, dass weiterhin Sozialbeiträge eingezahlt und damit der spätere Rentenanspruch erhöht wird. Wer mit 63 in Rente gehen will, muss sein Arbeitsverhältnis kündigen oder einen Aufhebungsvertrag abschließen. Der Anspruch auf die neue abschlagsfreie Rente führt nicht zu einer automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Tipp: Der Arbeitgeber sollte erst informiert werden, wenn der Antrag gestellt ist, und wenn man sicher ist, dass der Rentenanspruch besteht.

Anpassung der Altersteilzeitvereinbarung

Altersteilzeitvereinbarungen sehen häufig vor, dass das Altersteilzeit-Arbeitsverhältnis endet, wenn eine abschlagsfreie Rente beansprucht werden kann. Durch die gesetzliche Neuregelung kann ein sogenannter „Störfall“ mit negativen Konsequenzen eintreten. Neben der Rückabwicklung von Entgelten und Aufstockungsleistungen droht dem Arbeitnehmer, eine niedrigere gesetzliche und betriebliche Rentenleistung aufgedrängt zu bekommen.

Tipp: Die Auswirkungen der Rentenänderungen auf die Altersteilzeitverträge sollten umgehend mit dem Arbeitgeber, der Gewerkschaft oder dem Betriebsrat abgeklärt werden. Soweit nicht bereits geschehen, sollten die Verträge angepasst werden.

■ Holger Thieß, 47, ist Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht in Hamburg. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die sogenannte „prekäre Beschäftigung“.