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Archiv-Artikel

Büffeln für das Rothaargebirge

„Das Projekt wird kommen, die Voraussetzungen sind sehr gut“, sagt Landrat Breuer Landschaften schaffen Wisente, wenn die Waldrinder wieder ihre ökologische Funktion erfüllen können

VON THORSTEN SCHÄFER

Es wäre die Rückkehr eines Giganten, denn der Wisent ist das größte Landsäugetier Europas. Ein ausgewachsener Bulle kann eine Tonne schwer und zwei Meter hoch werden. Frei lebende Wisente gibt es nur noch in Osteuropa. Aus Westeuropa sind die braunen Kolosse schon lange verschwunden; das letzte Tier auf deutschem Boden wurde 1755 erlegt. Bestaunt werden können Wisente heute nur noch in Großgehegen. Doch schon im nächsten Jahr soll der europäische Bison in den deutschen Wald zurückkehren. Weil ihn die majestätischen Wildrinder faszinieren, will der Waldbesitzer und Jäger Prinz Richard zu Sayn-Wittgenstein Berleburg Wisente im nordrhein-westfälischen Rothaargebirge wieder ansiedeln.

Die Rückkehr der Giganten bereitet der Verein Taurus Naturentwicklung vor, der bundesweit für die Wiederansiedlung von Großsäugern wie Wisent, Wildpferd und Auerochsen kämpft. Der Verein hat gerade die Machbarkeitsstudie für das Projekt abgeschlossen, das die NRW-Landesregierung im Laufe des Jahres genehmigen muss. „Die Studie zeigt, dass wir einen geeigneten Lebensraum für die Wisente gefunden haben“, sagt Projektleiter Uwe Lindner vom Taurus-Verein. Der gleichen Meinung ist das Bundesamt für Naturschutz (BfN), das das Projekt seit seinem Beginn 2004 unterstützt. „Das vorgesehene Revier ist ausreichend groß und weitgehend unzerschnitten“, sagt Uwe Riecken Leiter des Fachgebietes Biotopschutz im BfN.

Zuerst werden die Wisente in Zoos gekauft. Schrittweise sollen sie dann in die westfälische Wildnis entlassen werden. Zunächst soll eine Herde von 10 bis 12 Tieren über ein Jahr in einem weiträumigen Gehege leben, um sich an den neuen Lebensraum zu gewöhnen. Weitere Tiere werden in einem kleineren Schaugehege gehalten, das Besucher anlocken soll. Frühestens im Herbst 2008 sollen maximal 25 Wisente in ein 4.300 Hektar großes Waldstück im Kreisgebiet Siegen-Wittgenstein entlassen werden, das größtenteils dem Prinzen gehört. Weil für eine größere Herde kein Platz ist, müssen die Biologen des Taurus-Vereins verhindern, dass die Wisente abwandern und sich ausbreiten. „Das gehört zu den Projektauflagen“, sagt Uwe Lindner. „Wir werden jedes Jahr zwei bis drei Tiere fangen und verkaufen, um die Bestandsgröße zu halten.“ Kühe und Kälber sind standorttreu, nur die jüngeren Bullen ziehen bisweilen umher. „Sobald ein Tier das Areal verlässt, fangen wir es ein“, sagt der Biologe. „Alles ist unter Kontrolle.“

Die Waldbesitzer und Landwirte des benachbarten Hochsauerlandkreises schenken solchen Ankündigungen wenig Glauben. Für sie steht fest, dass der Wisent die zweite Katastrophe nach dem Orkan Kyrill wäre, der in der Region besonders heftig zugeschlagen hat. Deshalb lehnen sie es ab, das Wisent- Revier auf 7.000 Hektar bis in ihren Landkreis auszudehnen. „Das Projekt ist eine Unverschämtheit. Wir wollen die Tiere nicht“, sagt Josef Peitz, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Hochsauerland. „Sie richten Schäden auf den Feldern an, verbeißen die Triebe der Bäume, beschädigen Weidezäune und übertragen Krankheiten auf Rinder.“ Die Bedenken in der Bevölkerung müsse man Ernst nehmen, betont Biologe Uwe Lindner. Meist seien sie aber unbegründet. „Warum soll ein Wisent einen Zaun einrennen, wenn er darüber springen kann?“ Zudem richteten Rothirsche und Wildschweine größere Schäden an, erklärt Lindner.

Um die Ängste der Sauerländer zu zerstreuen, setzen die Wisent-Freunde modernste Technik ein: An der Kreisgrenze wird ein Kabel im Waldboden verlegt, das auf einen Sender reagiert, den die Wisente um den Hals tragen. Will ein Wisent in den Hochsauerlandkreis wechseln, bekommt es einen leichten elektrischen Schlag. „So bleibt ihr Revier begrenzt“, erklärt Biologe Lindner. „Das funktioniert doch nie“, sagt dagegen Bauernvertreter Peitz.

Für den Fall, dass die Wisente tatsächlich Fraßschäden anrichten, wird ein Entschädigungsfonds eingerichtet. Außerdem soll eine Steuerungsgruppe mit Vertretern aus Politik, Tourismus sowie Forst- und Landwirtschaft das Projekt überwachen und bei etwaigen Problemen über einen Abbruch entscheiden können. Dennoch haben sich die meisten Landwirte und Waldbauern im Hochsauerland bei einer Umfrage gegen die Rückkehr der Wisente ausgesprochen. Bedenken haben auch Landwirte und Privatwaldbesitzer aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein, deren Flächen fünf Prozent des Wisentreviers ausmachen würden. Einige Tourismus-Vertreter sind ebenfalls gegen das Projekt. „Die Tiere stellen eine echte Gefahr für unsere Besucher dar. Was passiert, wenn ein Wisent auf einen Spaziergänger mit Hund trifft?“, fragt Karl-Anton Schütte, Vorsitzender des Gesamtverkehrsvereins Schmallenberger Sauerland. „Es gibt keine Belege für Unfälle. Wisente flüchten, wenn sie Menschen wittern“, sagt Uwe Riecken vom Bundesamt für Naturschutz.

Die Projektgegner machen im Sauerland schon länger Stimmung gegen die Wisente. Deshalb ist die Zustimmung für die Rückkehr der Giganten stark gesunken, wie Umfragen des Taurus-Vereins zeigen. Nur noch etwas mehr als die Hälfte der Sauerländer will die Wisente haben. Im Nachbarkreis Siegen- Wittgenstein sind fast drei Viertel der Einwohner für das Projekt des Prinzen. Viele erhoffen sich einen Tourismus-Boom, wenn die beschauliche Kreisstadt Bad Berleburg als westeuropäisches Wisent-Zentrum Furore macht. Paul Breuer, Landrat des Kreises Siegen-Witgenstein, und der Berleburger Bürgermeister Bernd Fuhrmann setzen sich für das Projekt ein. „Das touristische Interesse wird enorm sein, weil wir mit den Wisenten ein Alleinstellungsmerkmal bekommen“, sagt Breuer, der auch Vorsitzender des Touristikverbandes Siegerland-Wittgenstein ist. „Neben Hotels, Pensionen und Restaurants werden vor allem Dienstleistungsbetriebe von den Besucherströmen profitieren“, prophezeit Fuhrmann. Schon jetzt ist das Interesse an den Riesenrindern groß: Mehr als 90 Prozent der Wanderer am Rothaarsteig sind für das Projekt, wie eine Studie der Universität Siegen zeigt.

Doch die Wildrinder sollen nicht nur Geld in die Kassen spülen. Hinter der Wiederansiedlung im Rothaargebirge steht vor allem der Versuch, eine stark gefährdete Art zu retten. Zwar gibt es inzwischen wieder 3.000 Wisente, wovon etwa die Hälfte in freier Wildbahn lebt. „Wir brauchen aber dringend weitere Herden“, sagt Uwe Riecken. „Nur mit mehr Tieren können wir das Krankheitsrisiko streuen und den Genpool der Population auffrischen.“ Noch muss die NRW-Landesregierung das Projekt genehmigen. Grundlage dafür sind unter anderem die Stellungnahmen, die Kommunen und Verbände nun zur Machbarkeitsstudie abgeben, die ihnen seit Anfang Februar vorliegt. Zurzeit könne man noch keine Stellungnahme abgeben, erklärt eine Sprecherin des NRW-Umweltministeriums. Erst müssten alle Unterlagen gesichtet werden. Darüber hinaus muss das Bundesumweltministerium die Fördergelder bewilligen. Außerdem müssen weitere Sponsoren für das eine Millionen Euro teure Vorhaben gefunden werden. Doch das sind für die Wisent-Freunde nur Formalitäten. „Das Projekt wird kommen, die Voraussetzungen sind sehr gut“, sagt Landrat Paul Breuer.

Wenn ab dem Frühjahr 2008 tatsächlich eine Herde urwüchsiger Wildrinder durch die Wälder am Rothaarsteig streift, ist der Weg für den Ausbau des europäischen Wisent-Bestandes beschritten. Da sind sich die Fachleute sicher. „Das hat Modellcharakter für Westeuropa. Es wird andere Initiativen nach sich ziehen“, erklärt Uwe Riecken. Biologen aus Dänemark, Belgien und den Niederlanden haben bereits Interesse für das Wisent-Projekt in NRW angemeldet.

Das Interesse der Wissenschaftler gilt dem Artenschutz, aber auch der Landschaftsplanung. Denn überall in Europa machen sich Wissenschaftler, Naturschützer und Landwirte Gedanken darüber, wie große Flächen offen gehalten werden können, die wegen der Schließung vieler Bauernhöfe nicht mehr bewirtschaftet werden. Seit einigen Jahren wird verstärkt darüber diskutiert, wertvolle Heide-, Wiesen- oder Waldlandschaften so offen zu halten, wie dies ursprünglich geschah: mit großen Grasern, die Biologen als „Megaherbivoren“ bezeichnen. In vielen Projekten wird derzeit getestet, wie Nachzüchtungen von Auerochse und Wildpferd, Wasserbüffel oder Elche offene Landschaften natürlich gestalten können. Die Wisente würden den Wald im Rothaargebirge neu beleben: Wo sie grasen, entwickeln sich Lichtungen und später kleine Wiesen. Und wo ihre massigen Körper beim Sandbad die Erde durchpflügen oder ihre schweren Hufe den Boden aufreißen, entstehen Mikrobiotope für Insektengemeinschaften. „Wir haben oft geschlossene Acker- oder Waldflächen“, sagt Uwe Lindner. Natürlicher und artenreicher seien mosaikartige Waldlandschaften mit offenen und geschlossenen Bereichen. „Und diese Landschaften schaffen Wisente. Sie müssen ihre ökologische Funktion in ihrem ursprünglichen Lebensraum wieder erfüllen.“