Eine Piste, die keiner braucht

Das Hamburger Airbus-Werk rückt seinen Nachbarn auf die Pelle. Eine Pistenverlängerung, die kurz vor einem Dorf endet, ist im Bau. Zu dumm, dass der Grund dafür vorläufig entfallen ist. Auf einen Abbruch wagen die Dorfbewohner kaum zu hoffen

VON GERNOT KNÖDLER

Hans Diercks hat sich die Baustelle noch nicht angesehen. „Das tu‘ ich mir nicht an“, sagt der Obstbauer und klaubt schadhafte Äpfel von einem Fließband. Diercks kämpft dagegen, dass die Landebahn für das Hamburger Airbus-Werk bis dicht an sein Dorf Neuenfelde herangebaut wird. Obwohl die Piste halbfertig ist, gibt es für ihn und seine Mitstreiter wieder Hoffnung: Vor gut einer Woche ist bekannt geworden, dass die Frachtversion des Riesenairbus A 380 vorerst nicht gebaut wird und damit die Begründung für die Pistenverlängerung wegfällt. „Was man hingeschaufelt hat, kann man auch wieder wegholen“, sagt Diercks. Besonders überzeugt klingt es nicht.

Die Pistenverlängerung ist das Sahnehäubchen auf ein Mega-Projekt, das der Senat ins Werk gesetzt hat, um den Rang Hamburgs als drittgrößtem Luftfahrtindustriestandort der Welt zu behaupten. Für gut 600 Millionen Euro ließ er eine Werkshalbinsel in ein geschütztes Süßwasserwatt bauen. Er verlegte einen Sportboothafen, um die Werkspiste in die Elbe hinein verlängern zu können. Jetzt ist er dabei, die Landebahn ein weiteres Mal zu strecken: Die ersten Leuchtfeuer sind aufgebaut. Erdhaufen wechseln sich mit planierten Flächen und teichartigen Pfützen ab. Nebenbei hat der Senat mehrere Kilometer Straße verlegt und einen Deich abgerissen. Die Autos fahren jetzt in großzügigen Kurven um das Werk und den Pistenfortsatz herum.

Ginge es nach Diercks, wäre das alles verlorene Liebesmüh‘. Die Anwälte der Anwohner und Naturschutzverbände prüfen derzeit, wie sie den Produktionsstopp für den A 380-Frachter am besten ausnutzen können. Die rechtliche Lage ist verzwickt. Mehrere Verfahren in unterschiedlichen Entwicklungsstadien sind miteinander verschränkt. Fest steht: Airbus hat die Pistenverlängerung, insbesondere deren Eilbedürftigkeit, damit begründet, dass der Frachter eine längere Piste benötige. Nur so könne er alle nötigen Testflüge im Rahmen der Auslieferung an die Kunden in Hamburg-Finkenwerder absolvieren. Kein Frachter – keine Pistenverlängerung ist die einfache Schlussfolgerung der Kläger.

Etwa 100 Meter hinter der stark befahrenen Straße um das Pistenende herum sitzt eine alte Frau in ihrem Garten und ruht sich von der Arbeit aus. Ein frisch aufgeschütteter und im Regenwetter der vergangenen Tage erodierender Schutzwall sorgt dafür, dass sie vom Verkehrs–lärm nichts hört. Ob sie der Wall, der ihr die Aussicht verbaut, störe? „Von oben kann man kucken“, antwortet sie und zeigt auf den ersten Stock ihres Ziegelhäuschens. Auch der Lärm der Flugzeuge sei kein Problem bisher. Tatsächlich ziehen die kleinen Maschinen, die über Neuenfelde hinweg starten, sehr früh hoch.

Ihren Namen nennen will die alte Frau nicht, ebenso wenig der alte Mann, an dessen Grundstück der Lärmschutzwall grenzt, oder eine Anwohnerin, die zwar hinterm Deich aber auch nicht viel weiter weg vom Pistenende wohnt. Der erbitterte Streit um die Pistenverlängerung, der seit Jahren Hamburgs Politik in Atem hält, hat sie vorsichtig werden lassen. Es gab verschwiegene Wahrheiten, Enteignungsdrohungen, Klagen und Unterstellungen. Mit viel Geld hat der Senat die entscheidenden Grundstücke aus der Front der Widerständler herausgekauft.

Wo das nicht gelang, verengte der Senat per Ausnahmegenehmigung den Sicherheitsbereich der Piste. Am Lärmschutzwall ist das zu sehen. Er verwandelt sich an einer Stelle in eine grüne Schutzwand, die sich zur Piste hin ausbuchtet. Hier ragt die Obstplantage eines Standhaften in den Pistenbereich.

Typisch für die unterschiedlichen Interessenlagen, die das Dorf spalten, mag der Mann mit dem Grundstück am Wall sein. Im Moment stört ihn der Flugverkehr gar nicht, er macht sich aber Sorgen über die Zukunft. „Ich weiß nicht, was da für Flugzeuge kommen“, sagt er. Womöglich würden sogar Frachtflugzeuge hier abgefertigt, wenn Fuhlsbüttel aus den Nähten platze.

Sich gegen die Piste zu stellen, sei für ihn nicht in Frage gekommen. Schließlich arbeiteten seine Kinder bei Airbus und auch er selbst habe mehr als 30 Jahre für Airbus gearbeitet. Er ärgert sich aber darüber, dass sein Grundstück mit dem 130 Jahre alten Wohnhaus durch die Nähe der Piste entwertet sei, und dass er es nicht verkauft hat, wie so viele andere, als es der Senat haben wollte. Er wirkt mürrisch und zornig, als würde ihn dieser Konflikt schier zerreißen.

Der größte Teil des Dorfes ist durch einen Deich von dem Obstgarten getrennt, in dem jetzt die Piste liegt. Wer die Straße hinterm Deich entlang fährt, sieht viele leere Häuser. Nachts werde dort per Zeitschaltuhr das Licht angeschaltet, damit dieser Teil des Dorfes nicht so ausgestorben wirke, versichern Neuenfelder. „Die beleuchten sogar eine Garage“, amüsiert sich Diercks. Als er den Kompromiss mit den Neuenfeldern suchte, versprach Bürgermeister Ole von Beust, die leer stehenden städtischen Häuser würden wieder vermietet. Daraus scheint nichts geworden zu sein.

Vielleicht liegt es ja daran, dass keiner ans Pistenende ziehen will. Eine Anwohnerin hinterm Deich berichtet, dass ihre beiden Nachbarn ausgezogen seien. „Sie hatten Angst, dass es zu laut wird“, sagt sie. Selbst ärgert sie sich über einen merkwürdigen Schmierfilm, den sie von den Fenstern und den Sachen im Garten wischen müsse. Sie vermutet den Flugverkehr als Ursache. „Woher soll das sonst kommen?“, fragt sie.

Eine Kandidatin wäre die riesige Baustelle vor ihrer Haustür. Denn neben der Piste baut der Senat bereits am Anschluss für eine noch gar nicht genehmigte Ortsumgehung für das Nachbardorf Finkenwerder – in Neuenfelder Obstgärten, hart am Rande des Naturschutzgebiets Finkenwerder Süderelbe.