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Archiv-Artikel

die taz vor zehn jahren über die ökobewegung zwischen Optimismus und Katastrophismus

All jene, denen Umweltpolitik am Herzen liegt, sollten sich an einem differenzierten Bild versuchen, wenn es ans Bilanzieren geht. Dabei ist ein schmaler Grat zwischen schonungsloser Analyse und Ermutigung zu begehen. Denn tatsächlich kann einem schwindelig werden, studiert man kühlen Kopfes die Prognosen für den globalen Verbrauch an Energie oder die Entwicklung der klimaverändernden Emissionen, der biologischen Vielfalt und der Bodenerosion. Aber es gibt eben auch Signale der Hoffnung: Unternehmen, die ihr Geld ökologisch anständig verdienen; Gewerkschaften, die sich für eine Ökosteuer engagieren; KonsumentInnen, die auf ökologische Qualität achten; Bürgerinitiativen, die sich querstellen; Regionen, die mit Naturschutz TouristInnen werben. Abgrund und Hoffnung, das sind zwei Formen von Realität.

Man muß wirklich auf die frühen 70er zurückschauen, um das Ausmaß des Bewußtseinswandels zu erfassen. Für eine Herkulesaufgabe wie den ökologischen Strukturwandel, die nur vergleichbar ist mit der Erkämpfung bürgerlicher Freiheitsrechte und sozialer Rechte, sind selbst 25 Jahre ein kurzer Zeitraum. Die Etablierung neuer Institutionen und das gesellschaftliche Einüben neuer Praktiken brauchen Zeit, auch wenn es unsereinem nicht immer schnell genug gehen mag.

Lange Jahre hat die Umweltbewegung nur gegen Fehlentwicklungen gekämpft, gegen Müll- und Autolawinen, Pestizide und AKWs. Seit einer guten Dekade streitet man nun auch für positive Ziele, für Bahn und Kreislaufwirtschaft, Bio-Landbau, Solarenergie und Energieeffizienz. Beide, Verneinung und Bejahung, sind wichtig. Es kommt auf die Balance an. Wenn manch grüner Pragmatiker glaubt, Bürgerinitiativen als naiv abtun zu müssen, dann ist das eben genauso kurzsichtig wie die Attitüde mancher Öko-Aktivisten, die vorschnell „Verrat“ plärren, wenn sich Unternehmen an einer grünen Philosophie versuchen.

Reinhard Loske, taz 10. 3. 1997