: „Kolumbien simuliert Demokratie“
Der konservative Präsident Álvaro Uribe hat Kolumbien zum Büttel der USA gemacht. Außerdem kollaboriert Uribe mit den rechtsextremen Paramilitärs und diffamiert die Opposition, kritisiert der Linksdemokrat Carlos Gaviria Díaz
Carlos Gaviria Díaz, 69, ist Rechtsanwalt und Politiker und war in den 90er-Jahren Präsident des Verfassungsgerichts. Er ist Chef der Partei Polo Democrático Alternativo (PDA), die 2006 bei den Wahlen 22 Prozent bekam – so viel wie noch nie eine linke Partei in Kolumbien. Gaviria war Dekan und Dozent an der Universität von Antioquia. Einer seiner Studenten war damals Álvaro Uribe, heute Präsident Kolumbiens.
taz: Herr Gaviria, US-Präsident Bush reist derzeit durch Südamerika und besucht morgen Kolumbien. Dort gibt es Demonstrationen gegen Bush. Warum?
Carlos Gaviria Díaz: Weil Kolumbien derzeit wie ein Untergebener der USA agiert. Präsident Uribe unterstützt den Irakkrieg. Auch bei der Unterzeichnung des jüngsten Freihandelsvertrages nimmt Kolumbien die Haltung eines Untergebenen gegenüber seinem Herrn ein. Natürlich braucht Kolumbien Beziehungen zu den USA – aber auf Augenhöhe, nicht unterworfen.
Ist das Verhältnis zu den USA das drängendste Problem Kolumbiens?
Ja, denn es geht dabei um etwas Fundamentales: die Wiederherstellung der nationalen Souveränität, die Kolumbien verloren hat. Uribe hat das Land in eine Art Hypnose versetzt. Die Kolumbianer glauben, dass alles in Ordnung sei – dabei ist das Gegenteil der Fall. Uribe verspricht den Leuten Sicherheit, und weil wir so lange in Unsicherheit gelebt haben, wollen die Menschen ihm glauben.
Sie sind 2006 als Kandidat der Opposition, des Polo Democrático Alternativo, gegen den Konservativen Uribe angetreten. Welche Spielräume hat die Opposition heute?
Keine großen. Kolumbien simuliert Demokratie. Man versucht zu zeigen, dass die Opposition große Spielräume hätte – aber das stimmt nicht. Die Medien sind praktisch alle von der Regierung vereinnahmt – die Opposition wird kaum gehört. Außerdem hat Präsident Uribe selbst die Arbeit der Opposition sehr erschwert. Er hat den Polo Democrático, eine zivile politische Kraft, die jegliche Gewaltanwendung ablehnt, als verkappte Guerilleros bezeichnet. Das birgt in Kolumbien ein großes Risiko – denn es gibt die Paramilitärs und andere Fanatiker, die dies als Aufforderung zur Gewalt verstehen könnten.
Uribe hatte verkündet, die rechten Paramilitärs hätten sich aufgelöst. Doch kolumbianische Zeitungen berichten, die Paramilitärs seien noch aktiv und nie verschwunden gewesen. Stimmt das?
Ja. Außerdem hatte Uribe den Paras versprochen, dass sie sich straffrei, und ohne Schadensersatz an die Opfer leisten zu müssen, in die Gesellschaft reintegrieren dürfen. Doch damit hat er die Büchse der Pandora geöffnet: Im Zuge von Ermittlungen haben Paramilitärs ausgesagt – und nun wissen wir, dass etliche Kongressabgeordnete und enge Gefährten Uribes Kollaborateure der Paramilitärs waren.
In den letzten Jahren sind in Lateinamerika neue linke Regierungen an die Macht gekommen. Wie beeinflusst das die politische Debatte in Kolumbien?
Für die demokratische Opposition ist das natürlich stimulierend – aber ich fürchte manchmal, dass es auch zweischneidig sein kann. Viele denken, das historische Pendel schwenke zurück und bald würden wir auch in Kolumbien links regiert. Aber wer genau hinguckt, erkennt, dass in allen Ländern, in denen jetzt Linksregierungen an der Macht sind, jahrelange Kämpfe sozialer Bewegungen vorausgegangen sind. In Kolumbien müssen wir das erst noch erreichen. Aber es ist möglich.
Hugo Chávez, Präsident von Venezuela, ist mehr oder weniger offen beschuldigt worden, die kolumbianische Guerilla Farc zu unterstützen. Hilft oder schadet Chávez’ Politik der demokratischen Linken in Kolumbien?
Dass Chávez die Farc unterstützen würde, ist eine Legende, die natürlich schadet. Wirklich wichtig ist jedoch, dass Chávez in Venezuela versucht, Politik zugunsten der ausgestoßenen und ausgebeuteten Bevölkerungsschichten zu machen. Ein linkes Projekt in Kolumbien müsste das auch tun, selbst wenn es anders aussähe als das venezolanische.
Könnten die Guerillagruppen Farc und ELN in der Zukunft Teil solch eines politischen Projektes sein?
Sie müssen sich zuerst entwaffnen. Man kann und darf in Kolumbien keine Politik mit der Waffe in der Hand machen.
Welche Chancen hätte denn eine Linksregierung, den Frieden zu erreichen?
Die besten. Die demokratische Linke und der Polo Democrático sagen schon lange, dass es nicht möglich sein wird, den Konflikt militärisch zu beenden. Ein Sieg der Guerilla ist genauso unmöglich wie ein Sieg des Staates. Der Staat muss die Beendigung des Konfliktes auf dem Weg des Dialogs versuchen.
Der Konflikt hat viele Wunden aufgerissen und Menschenleben gekostet. Wie könnte da Versöhnung aussehen?
Eine ernsthafte Friedenspolitik, die den Dialog sucht, kann das schaffen.
Was ist die gute Nachricht aus Kolumbien 2007?
Dass die Demokraten in Kolumbien verstanden haben, dass sie einig auftreten und die Spaltungen von früher über Bord werfen.
INTERVIEW: BERND PICKERT