: 12 Schuss nach 15 Sekunden, ein „Selbstmord durch Cop“?
ST. LOUIS Die Polizei stellt im Fall des zweiten Erschossenen in ihrem Distrikt ein Video online
ST. LOUIS taz | Das Video ist verstörend und erhellend zugleich. Es zeigt zwei weiße Polizisten, die einen jungen, schwarzen und erkennbar gestörten Mann auf einem Bürgersteig in St. Louis erschießen. 15 Sekunden nach Ankunft der Polizisten liegt Kajieme Powell sterbend am Boden. Einer der beiden Beamten richtet seine Pistole auf den Sterbenden. Der andere legt ihm Handschellen an. „Oh my fucking God“, ist eine Stimme im Off zu hören, „sie haben ihn gekillt. Es geht schon wieder los. Warum haben sie bloß keinen Taser benutzt?“
Die Szene spielt neben einer Bushaltestelle am Riverview Boulevard St. Louis – wenige Schritte von dem „Six Stars“-Supermarkt, in dem Kajieme Powell kurz zuvor zwei Energiegetränke und ein Gebäck gestohlen haben soll. Der Verkäufer aus dem Supermarkt ist auf dem Video mit einer roten Schirmmütze zu sehen. Er schaut aus wenigen Schritt Entfernung zu, wie die Polizei, die er wegen des Diebstahls verständigt hat, Kajieme Powell erschießt.
Nicht einmal vier Meilen entfernt ist zehn Tage zuvor in dem Vorort Ferguson der unbewaffnete Teenager Michael Brown von einem anderen Polizisten aus Missouri erschossen worden.
„Er hat die beiden Polizisten mit einem Messer bedroht“, erklärt der Polizeichef von St. Louis, Sam Dotson, kurz nach dem Tod von Kajieme Powell. Das um Offenheit bemühte Auftreten von Polizeichef Dotson ist eine Reaktion auf das Verhalten der Polizei von Ferguson. Die hat nach der Erschießung von Michael Brown tagelang geschwiegen und zugleich mit militärischem Auftreten gegenüber Demonstranten die Krise in der Vorstadt eskaliert.
In St. Louis geht der Polizeichef noch einen Schritt weiter: Er veröffentlicht ein sechseinhalbminütiges Video, das ein Passant mit dem Handy von der Erschießung Kajieme Powells gedreht hat. Doch das Video widerspricht der Darstellung Dotsons in mehreren Punkten: Kajieme Powell mag ein Messer in der rechten Hand haben – genau ist das nicht zu erkennen –, aber er richtet es in keinem Moment gegen die Polizisten.
Er geht auch nicht auf die Männer zu, als die ihren Wagen an die Bordsteinkante fahren und mit gezückten Pistolen herausspringen. Auf die Aufforderung, sein Messer fallen zu lassen, läuft er ein paar Schritte vor und ruft: „Schießt! Erschießt mich. Jetzt.“ Dann entfernt er sich wieder von den Polizisten, steigt über ein Mäuerchen nach hinten und bewegt sich hinter dem Mäuerchen wieder auf die Polizisten zu. Das ist der Moment, in dem beide Polizisten das Feuer eröffnen. Laut Polizeichef Dotson verschießt jeder Beamte sechs Kugeln.
Im Stadtteil war bekannt, dass der 25-jährige Kajieme Powell, der bei seiner Oma lebte, geistig behindert war. Auf dem Handy-Video, das lange vor der Ankunft der Polizei beginnt, führt Kajieme Powell Selbstgespräche, in denen die Worte „Brown“ und „Facebook“ fallen. Eine Stimme ruft ihm aus dem Off zu: „Alles okay, Brother?“ Eine andere Stimme kichert: „Mann, ist der verrückt.“ Später soll ein Polizist sagen: „Es war Selbstmord durch Cop.“
Das Video: www.youtube.com/watch?v=Hi0lYWZ_stA