: Soll die Loveparade ins Revier?
Der Veranstalter der Loveparade sucht nach der Absage für den bisherigen Paradenweg in der Hauptstadt Hände ringend Ersatz. Und hat die Städte des Ruhrgebiets aufgefordert ihm ein Angebot zu machen. Ist das eine gute Idee? Sollen die Raver ins Ruhrgebiet strömen?
NATALIE WIESMANN, 36, ist Redakteurin der taz nrw und lebt in Dortmund. Sie würde nie auf die Loveparade gehen. Als Anfang der 90er die Technowelle aufkam, fühlte sie sich für diese Musik bereits „zu alt“. Dafür hat ihr vier Jahre jüngeren Bruder sie täglich mit dem Spruch „Tekkno ist die Welt“ malträtiert.
JA
Breite Straßen, billige Betten und ein großes Einzugsgebiet wünscht sich Veranstalter Rainer Schaller für seine Liebesparade. Nach dem endgültigen Rückzug aus Berlin ist er auf der dringenden Suche nach einem neuen Veranstaltungsort. Die Kulturschaffenden aus dem Ruhrgebiet müssen jetzt laut „hier“ schreien, bevor sich andere Städte anbieten. Denn wenn es eine Location gibt, die als Nachfolger der Bundeshauptstadt für das größte deutsche Techno-Event taugt, dann ist es der Ruhrpott.
Das Revier kann zu einer Loveparade mehr Raver locken als Berlin – dort gingen die Besucherzahlen in den vergangenen Jahren stetig zurück. Allein zwischen Duisburg und Hamm leben fünf Millionen Menschen. Von Köln und Düsseldorf, von Münster und Bielefeld ist es nur ein Katzensprung. Ein Wochenendtrip ins Ruhrgebiet lohnt sich auch für die Luxemburger, Belgier und die Niederländer – zumal die laut Veranstalter „total technoverrückt“ sind.
Eine mögliche Route für den Techno-Umzug existiert bereits, die Pläne dafür liegen seit 2004 in der Schublade. Schon der damalige Veranstalter „DJ Motte“ hatte wegen ständiger Querelen mit Berlin seine Fühler in andere Städte ausgestreckt. Die Verhandlungen mit dem Regionalverband Ruhr waren weit gediehen. Als Strecke hatten sich die Planer die Autobahn A 40 von Dortmund nach Essen ausgeschaut.
Von einer Loveparade im Ruhrgebiet würde neben den Freunden der elektronischen Stampfmusik vor allem die Tourismusbranche profitieren. Die Zechen und stillgelegten Eisenhütten ziehen zwar den einen oder anderen geschichtsinteressierten Industrieromantiker ins Revier. Doch mit einer Parade von zwei Millionen Technoverrückten, die einen Tag lang durchs Ruhrgebiet tanzen, kann die Route der Industriekultur nicht mithalten.
Nicht von ungefähr führen die Macher von Ruhr 2010 und Städtevertreter aus den Revierkommunen zurzeit Sondierungsgespräche mit dem Veranstalter. Schließlich ist es die Chance, vor dem Kulturhauptstadt-Jahr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Zu zeigen, dass Kultur nicht immer Hochkultur sein muss. Und dass der Pott auch ohne Stahl kochen kann. Welch willkommene Abwechslung zu deprimierenden Berichten über die arme Stadt Gelsenkirchen oder die Ewigkeitskosten im Bergbau.
Es muss aber unbedingt vermieden werden, dass die Loveparade zu einem Kirchturmprojekt einer einzigen Stadt mutiert. Auch wenn Dortmund durch Events wie die „Mayday“ und das „Juicy-Beats-Festival“ seine Techno-Affinität schon bewiesen hat: Die Loveparade ist das ideale Übungsfeld fürs Ruhrgebiet, sich als ein Akteur zu präsentieren.
NATALIE WIESMANN
NEIN
„Ich renne herum, ich renne hinterher. Und wo ich auch hinkomm‘, ist schon lang niemand mehr“, sangen die Aeronauten mal über das Leben in der Pop-Provinz. In einem ähnlichen Dauerlauf befinden sich die Gemeinden des Ruhrgebiets in ihrem Wettbuhlen um die Loveparade. Als erster über die Ziellinie zu gehen, bedeutet aber nicht gleich vorne mit dabei zu sein.
Die Gründe dafür sind fast so simpel wie ein Techno-Beat. Das arme Berlin verzichtet auf die Sexyness der Love Parade und die Einnahmen durch die 1,2 Millionen Paradengänger. Offensichtlich ist die Stadt den ständigen Ärger mit den Betreibern um die Reinigungskosten der Parade leid. Doch auch in den Berliner Zirkeln elektronischer Musikfreunde trauert man der Loveparade nicht so richtig nach. Zwar vermutet der geschasste Ex-Paradenführer Dr. Motte, dass die Loveparade aus der Hauptstadt flieht, weil der neue Veranstalter nicht in die Szene integriert war, doch diese reagiert eher gleichgültig. „Eigentlich gab es doch eine große Ablehnung“, kommentiert DJ Hell die Absage, während die De:Bug mit drei Worten zum Abschied leise Servus sagt: „Glück gehabt, Tiergarten.“
Auch in NRW kann die Nachricht vom Umzug der Loveparade keine Erhöhung der BPM-Frequenz erzeugen. Bei Kompakt in Köln reagiert man mit Schulterzucken und macht einfach weiter im Geschäft. Schließlich hat man international einen guten Ruf zu verteidigen. Dabei könnte die Love Parade eher hinderlich sein.
CHRISTIAN WERTHSCHULTE, 29, ist Redakteur der taz nrw. Früher ging er häufig im Ruhrgebiet aus, heute macht er lieber die Reise von Düsseldorf nach Köln, wo er sich manchmal mit elektronischer Musik eindeckt. Momentaner Liebling auf dem Plattenteller ist Springintguts Electronica-Album „Park and Ride“.
Denn die einzigen, die sich auf die Parade stürzen wie Dauer-Raver um sechs Uhr morgens auf den letzten Krümel MDMA, sind die Stadtoberen entlang der B1, deren letzter Club-Besuch in etwa mit der Einführung des MIDI-Protokolls zusammenfallen dürfte.
Sonst müsste ihnen eigentlich aufgefallen sein, dass es gar nicht so leicht ist, einen Samstag im Ruhrgebiet bei akzeptabler Hintergrundbeschallung zu verbringen. Ausnahmen wie das Dortmunder Domicil oder das Hotel Shanghai in Essen bestätigen leider die traurige Regel. Die Schließung des Wohnzimmerclubs wird dies nicht verbessern. Und zu allem Überfluss lehrt der Blick nach Berlin auch noch, dass der durchschnittliche Paradengast lieber zu Großevents wie „Lovestern Galaktika“ anstatt in die interessanten Kellerclubs geht.
Durchatmen anstatt Dauerlauf scheint daher eher angemessen, wenn das Ruhrgebiet nicht länger Pop-Provinz bleiben will. Hilfreich für eine gute Feierei sind günstige Mieten und nachsichtige Ordnungsämter sowie ein Importverbot abgehalfterter Massenveranstaltungen. Und freundlicher zu Mensch, Tier und den Grünstreifen an der B1 ist es auch.
CHRISTIAN WERTHSCHULTE