: Startänzer im Ballett der Lüfte
Der Berliner Kunstspringer Tobias Schellenberg ist eine der deutschen Medaillenhoffnungen bei der Schwimm-WM, die diese Woche in Sydney beginnt. Dabei ist der 28-jährige zweifache Europameister für seinen Sport eigentlich schon etwas zu alt
VON TORSTEN HASELBAUER
Die Bretter, die für Tobias Schellenberg die sportliche Welt bedeuten, sind ein und drei Meter hoch über der Wasseroberfläche montiert und aus Fiberglas. Der Berliner ist ein Kunstspringer, seit Jahren der beste in Deutschland. Schon als kleines Kind hüpfte der in Leipzig geborene Sportler von den damals noch aus einfachem Holz gefertigten Sportgeräten. „Weil es mit der Leichtathletik nicht klappen wollte und weil ich schon immer mutig war, bin ich Kunstspringer geworden“, erinnert sich Schellenberg.
Noch zu DDR-Zeiten wurde der heute 28 Jahre alte Weltklassespringer für das Wasserspringen entdeckt – und er blieb dabei. Es war die richtige Wahl: Das belegen nicht nur 18 nationale Titel. Gemeinsam mit Andreas Wels errang der studierte Sozialpädagoge auch zwei Europameisterschaftstitel im Synchronspringen. Im Jahr 2000 in der finnischen Hauptstadt Helsinki und im vergangen Jahr im ungarischen Budapest, jeweils vom 3-Meter-Brett. Die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 gilt für das Duett als der bis heute größte Erfolg. Als Solist glänzte Schellenberg vom 1-Meter-Brett bei der EM 2004 in Madrid mit einem dritten Rang. Er gehört damit zu den europäischen Topspringern und den ganz wenigen, die in der von Chinesen, Amerikanern und Russen dominierten Weltklasse mithalten können.
Auch bei den diesjährigen Schwimm-Weltmeisterschaften, die vom 18. März bis zum 1. April im australischen Melbourne ausgetragen werden, wird es nicht anders sein. Die Chinesen dürften mehrheitlich die Einzel-Wettbewerbe vom 10-Meter-Turm und den 1- und 3-Meter-Brettern gewinnen. Im Synchronwettbewerb vom 3-Meter-Brett jedoch gilt Schellenberg mit seinem Partner Wels als Medaillenkandidat.
Dabei ist Schellenberg mit seinen 28 Jahren eigentlich längst in einem Alter, in dem die meisten Kunstspringer ihre Karriere bereits beendet haben. Der Berliner indes verspürte nach den Olympischen Spielen von Athen 2004 noch einmal einen Motivationsschub. Dafür wechselte er nach zehn Jahren sogar den Bundesstützpunkt: Von Leipzig zog es den Europameister in die deutsche Hauptstadt.
„Zehn Jahren Training mit denselben Springern und demselben Trainer – da wirst du richtig betriebsblind“, erklärt der Top-Sportler die Wechsel-Gründe. Im Laufe der Zeit hätten sich in seinen Sprüngen mehr und mehr Fehler eingeschlichen, und keiner hätte das richtig bemerkt, sagt der Sportler über die letzten, spannungsarmen Trainingsjahre beim SC DHfK Leipzig.
Beim TSC Berlin kann sich Schellenberg in einer leistungshomogenen Gruppe mit 15 Springern messen. Zwischen 25 und 30 Stunden pro Woche trainiert der 1,77 m große Athlet mit seinem Coach Jan Kretzschmar in der Schwimmhalle an der Landsberger Allee. Jetzt, kurz vor der WM, sind es sogar einige Stunden mehr. Das Training umfasst die klassischen Sprünge ins Wasser, aber auch akrobatische Trockenübungen auf einem Trampolin und in einer Schaumstoffanlage.
Der Berliner Stützpunkt gilt als einzigartig in Deutschland. Nirgendwo anders finden die Wasserspringer solche professionellen Strukturen vor. Für das Wohlergehen der Springer sorgen nicht weniger als drei Coaches, ein Laufbahnberater, ein Physiotherapeut und ein ehemaliger Gewichtheber als Krafttrainer. Vor zwei Jahren wurde zusätzlich ein Balletttrainer engagiert. International ist das schon lange üblich. In Deutschland ist die Berliner Initiative jedoch fast belächelt worden.
Bernd Weise, ehemaliger Tänzer an der Berliner Staatsoper, potenziert nun die Sprungkraft der Berliner Wasserspringer immer wieder durch gezielte Ballettübungen. Balletttänzer und Wasserspringer haben nämlich eines gemeinsam: Sie müssen aus dem Stand möglichst hoch springen und dabei immer gute Haltung bewahren. Viel Höhe zu gewinnen ist für die Wasserspringer die wichtigste Vorraussetzung dafür, um anschließend die bis zu 3,5-fachen Salti und Schrauben überhaupt ausführen zu können. Schellenberg springt deshalb fast noch einmal 3 Meter vom Brett hoch in die Luft, bevor es dann wieder kunstvoll abwärts ins Wasser geht.
Bis zu 40 Stundenkilometer schnell sind die Springer dann. „Dazu gehört viel Mut und eine Menge Respekt vor dem Brett“, beschreibt Schellenberg seinen Sport. Unfälle, bei denen Springer in der Abwärtsbewegung mit dem Kopf oder Rumpf gegen das Brett knallen, kommen allerdings immer wieder vor.
Die kontrollierte Geschwindigkeit, das gewisse Risiko und die Ästhetik des Sports machen die Faszination des Wasserspringens für den Berliner WM-Teilnehmer aus. Auf jeden Fall bis zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking möchte Tobias Schellenberg noch von den Brettern, die für ihn die Welt bedeuten, springen.