Regierung tut alles – nur sicher nicht abziehen

Wilde Drohungen im Internet: Deutscher Rückzug aus Afghanistan gefordert. Koalitionspolitiker kündigen an: Wir bleiben noch zehn Jahre

BERLIN taz ■ Deutschland soll seine Truppen aus Afghanistan abziehen. Das verlangen sowohl die Entführer von zwei Deutschen im Irak als auch die Mitglieder einer Gruppe namens „Stimme des Kalifats“. Beide gaben sich am Wochenende in Internetvideos knallhart. Für den Fall, dass ihre Forderung nicht erfüllt wird, drohen die einen mit der Ermordung ihrer Geiseln, die anderen mit Terroranschlägen in Deutschland.

Die Videos bringen die Bundesregierung in eine schwierige Lage. Sie muss die Drohungen ernst nehmen. Politisch aber ist es ihr unmöglich, auf die Forderungen einzugehen. Schließlich hatte die Regierung erst am Freitag im Bundestag die Entsendung von „Tornados“ nach Afghanistan, also die Ausweitung des deutschen Einsatzes, durchgesetzt.

Entsprechend ratlos klang Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Er sprach von einem „erschütternden Dokument“, als er das Video mit der Botschaft der 61-jährigen Geisel gesehen hatte, die um Hilfe fleht. Der CDU-Außenpolitiker Eckart von Klaeden brachte das Dilemma der Koalition auf den Punkt: Die Regierung tue alles, um das Leben der Geiseln zu retten, sagte er, um sofort hinzuzufügen: „Die Bundesregierung ist nicht erpressbar.“

Was man sich unter der Nichterpressbarkeit vorzustellen hat, machte SPD-Fraktionschef Peter Struck deutlich. „Das kann noch ein Jahrzehnt dauern“, sagte er über den Einsatz in Afghanistan. Die Bundeswehr werde erst gehen, wenn die Taliban besiegt seien, betonte Struck – und von Klaeden stimmte zu.

Zu der Anschlagsdrohung der „Stimme des Kalifats“ sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes der taz: „Dieses Video wird derzeit von Spezialisten der Bundesregierung ausgewertet.“ Bisherige Erkenntnisse? Keine Auskunft. So blieb vieles unklar: Wer genau steckt hinter der „Stimme des Kalifats“? Und geht es den Entführern im Irak wirklich um den Abzug deutscher Soldaten aus Afghanistan oder um mehr Lösegeld?

Klar scheint nur, dass die Videoproduzenten die Debatte in Deutschland genau verfolgen. Dafür spricht jedenfalls das Timing ihrer Botschaften, die sie direkt nach der Bundestagsabstimmung platzierten. Ihre Drohungen wirken auf den ersten Blick wie Wasser auf die Mühlen der Kriegskritiker. Linkspartei-Fraktionschef Oskar Lafontaine warnte schon im Februar: „Der Einsatz deutscher Tornados in Afghanistan erhöht die Terrorgefahr in Deutschland.“

Angesichts der konkreten Gefahr für die Entführten hält sich nun aber auch die Opposition zurück. Für die Haltung der Regierung zeigten selbst Politiker Verständnis, die gegen die Entsendung der „Tornados“ stimmten. Die spärliche Informationspolitik sei vernünftig, sagte der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Nachtwei, der taz: „Je mehr über Entführungsfälle in der Öffentlichkeit geredet wird, desto schwieriger wird in der Regel eine gewaltlose Lösung.“ Und ein Truppenabzug? Das kommt auch für den Grünen nicht in Frage: „Es ist sicher richtig, dass man sich – bezogen auf das Afghanistan-Engagement insgesamt – nicht erpressen lassen darf.“ LUKAS WALLRAFF