Nichts als Angriff und Vergeltung

ISRAEL/GAZA Auch aus Libanon und Syrien fliegen einzelne Raketen auf Galiläa und die Golan-Höhen. Öffentliche Exekution von rund zwei Dutzend Kollaborateuren in Gaza

„Signal für Panik unter der Hamas-Führung“ schreibt Amira Hass in „Haaretz“

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Ohne erkennbare Perspektive auf eine diplomatische Lösung schaukelt sich die Gewalt von Vergeltungsschlag zu Vergeltungsschlag zwischen Israel und der Hamas weiter hoch. Die von Israel annektierten Golanhöhen und das westliche Galiläa gerieten am Wochenende zudem unter Beschuss aus Syrien und dem Libanon. Israels Armee hielt sich mit Vergeltungsschlägen im Norden zunächst zurück. Regierungschef Benjamin Netanjahu warnte hingegen die Hamas, sie werde „einen hohen Preis bezahlen“. Die Luftwaffe hatte die Angriffe erneut intensiviert, nachdem am vergangenen Freitag ein vierjähriger Junge in einem Kibbuz bei einem Mörserangriff der Islamisten ums Leben kam. Im Gazastreifen stieg die Zahl der Todesopfer am Sonntagmittag auf über 2.100.

Netanjahu appellierte an die eigene Bevölkerung, sich in Geduld zu üben. Die Militäroperation werde solange fortgesetzt, „bis ihre Ziele erreicht sind“. Es könne bis über den Beginn des Schuljahres am 1. September dauern. Die Palästinenser im Gazastreifen warnte er gestern davor, sich in Gebäuden aufzuhalten, von denen aus die Hamas „Terroraktivitäten lanciert“. Die Luftwaffe hatte am Wochenende erneut mehrere Hochhäuser zum Einsturz gebracht, darunter ein Gebäude mit zwölf Stockwerken.

Die Hamas konzentriert ihren Kampf gegen Israel verstärkt auf das Umland vom Gazastreifen. Militärexperten vermuten, dass das Arsenal der Raketen mit längerer Reichweite aufgebraucht ist. Dazu kommt, dass die islamistischen Kämpfer mit den Kurzstreckenraketen und Mörsergranaten, die den Israelis kaum Zeit zur Flucht in die Bunker lassen, eine größere Trefferquote erreichen. Der israelische Junge, der am Freitag getötet wurde, hatte ganze drei Sekunden, um sich in Sicherheit zu bringen.

Parallel zu den Besatzern gerät der Feind in den eigenen Reihen unter Beschuss der Hamas. Mindestens 25 mutmaßliche Kollaborateure sollen am Wochenende standrechtlich exekutiert worden seien, darunter zwei Frauen. Einige der des Verrats verdächtigen Palästinenser wurden offenbar schon vor der gezielten Tötung dreier führender Hamas-Kommandanten, die durch Luftangriffe Ende letzter Woche starben, verhaftet. Dennoch stehen die zum Teil öffentlichen Hinrichtungen in direkter Verbindung zum Tod der Hamas-Kommandanten.

Fotos aus dem Gazastreifen zeigen mehrere Männer mit Säcken über dem Kopf unmittelbar vor ihrer Erschießung. Sie werden bewacht von vermummten Hamas-Kämpfern in schwarzer Uniform. Ihnen wird vorgeworfen, Israel mit Informationen über geheime Tunnel, Raketenabschussrampen oder Einschussorte und Tote unter Hamas-Kämpfern geliefert zu haben. Das Palästinensische Menschenrechtszentrum (PCHR) in Gaza protestierte gegen die außergerichtlichen Hinrichtungen und appellierte an die Palästinensische Autonomiebehörde, umgehend zu intervenieren. Dieser Art Exekutionen „fügen uns allen Schaden zu“, heißt es in einer Erklärung des PCHR.

Auch während der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas vor zwei Jahren waren Kollaborateure außergerichtlich exekutiert worden. Damals hatten Hamas-Aktivisten einen der Hingerichteten mit einem Seil an ihr Motorrad gebunden und durch die Straßen geschleift. Amira Hass von der liberalen Haaretz schreibt, dass die öffentlichen Hinrichtungen zwar der Abschreckung gelten, tatsächlich aber als „Signal für Panik unter der Hamas-Führung“ bewertet werden müsse. Die Islamisten zeigten zunehmend „Angst und Kontrollverlust“.