: 7.500 schließen Kette gegen Braunkohle
ENERGIE Grenzüberschreitender Protest an der Neiße: Acht Kilometer lange Demonstration zwischen Deutschland und Polen gegen Erweiterung der Tagebaue. Viele Anwohner sind dafür. Sie hoffen auf Jobs bei Vattenfall. Thema im Wahlkampf in Brandenburg
ERHARD LEHMANN, PROSCHIM
AUS GROSS-GASTROSE BIANCA BÄR
Am Anfang gab’s noch Lücken. Doch dann kamen noch ein paar Busse mit polnischen Aktivisten. Und so erreichte die Anti-Kohle-Kette am Samstag etwa gegen 13.45 Uhr das Ortsschild von Grabice. „Die Menschenkette war von Kerkwitz bis Grabice geschlossen“, sagt Susanne Neubronner. Eine halbe Stunde hielt die Kette. Die Greenpeace-Sprecherin ist begeistert über die Resonanz auf den Aufruf zum Protest gegen die Erweiterung des Braunkohle-Tagebaus in der Lausitz. 7.500 waren gekommen, um die acht Kilometer zwischen den vom Bagger bedrohten Dörfern zu schließen. Im brandenburgischen Kerkwitz und im polnischen Grabice wollen Energiekonzerne Tagebaue erschließen.
Seit März waren die Vorbereitungen gelaufen. Oft hatten die Organisatoren gezweifelt, ob es gelingen würde, in der strukturschwachen Gegend genügend Leute zu mobilisieren. Das nahe Klimacamp war in der vergangenen Woche schlecht besucht, zudem war Regen angesagt. Doch am Ende fanden nicht Kohlegegner aus Deutschland und Polen den Weg in die Lausitz. Sogar aus Schweden und Ungarn rollten Busse an. Bettina Rechel war über Nacht aus Budapest angereist: „Wir wollen die Menschen unterstützen, die hier leben.“ Doch nicht alle Ortsansässigen kämpfen gegen den Tagebau. Gegenüber dem Medienzentrum im Feuerwehrhaus von Groß-Gastrose schaut ein Anwohner verständnislos auf Kohlegegner, die von Journalisten interviewt wurden. Er zeigt der Menge einen Vogel, schüttelt den Kopf und verschwindet. Viele Bewohner der Region arbeiten schon seit Jahrzehnten im Bergbau und hoffen, eine Erweiterung des Tagebaus werde ihren Job sichern.
Ein heikles Thema für die Parteien Brandenburgs – in drei Wochen wird hier ein neuer Landtag gewählt. Nur die Grünen unterstützen die Kampagne gegen die Kohle. Sie zeigten mit Parteichefin Simone Peter und Fraktionsvorsitzendem Anton Hofreiter Flagge. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner freut sich: „Vor zehn Jahren haben die Anti-Kohle-Proteste noch gar keinen Widerhall in der Bevölkerung gefunden. Jetzt realisieren die Leute: Was nützt mir ein Arbeitsplatz, wenn ich keine Heimat mehr habe.“
Auch Erhard Lehmann aus Proschim ist da. Er arbeitete 26 Jahre lang im Bergbau, nun protestiert er dagegen. „Ich habe in den neunziger Jahren als Bürgermeister dagegen gestimmt, dass Proschim dem Bergbau weicht. Daraufhin musste ich meinen Arbeitsplatz räumen.“ Nach den Plänen des Energiekonzerns Vattenfall soll Proschim im Rahmen der Tagebau-Erweiterung Welzow-Süd II in den kommenden Jahren umgesiedelt werden. Die rot-rote Landesregierung in Potsdam hatte dafür Anfang Juni den Weg frei gemacht. Doch Lehmann bleibt stur: „Ich bin dort geboren und werde auch nicht umziehen.“
Es geht um Klimaschutz, Flächenfraß – und Jobs: Die Braunkohle ist eines der wichtigen Themen im Wahlkampf. Vattenfall will drei seiner fünf aktiven Tagebaue im Lausitzer Kohlerevier erweitern, darunter auch Welzow-Süd bei Cottbus. Derzeit läuft noch ein Braunkohleplanverfahren für die Grube Jänschwalde nördlich von Cottbus. Auch in Sachsen soll mehr gebuddelt werden. Im März hatte die Landesregierung in Dresden die Erweiterung des Tagebaus Nochten bei Görlitz genehmigt. In Polen ist der Ausbau der Kohleförderung des Konzerns PGE im Grenzgebiet Gubin/Brody Teil der Energiestrategie bis 2030. Der polnische Regierungschef Donald Tusk unterstützt die „wichtigen Investitionen“.
Hinter Groß-Gastrose führte die Menschenkette über die Neiße. Mitglieder der Feuerwehr hatten sich Anglerhosen übergezogen oder standen in Unterhosen im seichten Wasser. Plötzlich trieben rot-weiße Gummibälle im Fluss, beklebt mit Sprüchen wie „Kein weiteres Dorf hält diese Abwanderung aus!“ Ein Gruß von der Industriegewerkschaft für Bergbau, Chemie, Energie, die sich für die Braunkohle einsetzt. „Vattenfall-Mitarbeiter kämpfen für ihre Arbeitsplätze und fühlen sich von den Gegnern bedrängt“, sagt Greenpeace-Mitarbeiterin Neubronner. Insgesamt sei die Kontroverse bislang aber ein „friedlicher Dialog geblieben.“ Vattenfall hatte sich ähnlich diplomatisch geäußert. Der Konzern begrüße „eine offene Energiedebatte, die friedlich und demokratisch geführt wird“, hieß es in einer Erklärung.