ausgehen und rumstehen
: Auf der Seite der Mächtigen

Das Prinzip der marktwertsteigernden Verknappung ist Bernd Begemann seit je egal. Jedes Jahr macht er eine Platte, jede Platte umfasst ungefähr 20 Lieder und zieht eine Tour mit mindestens so vielen vierstündigen Konzerten nach sich, wie Deutschland Dörfer hat.

Für dieses Jahr aber hat sich der Sänger etwas Besonderes ausgedacht: eine Schau des Gesamtwerks in Form einer feierlichen Veranstaltungsreihe. Jeden Monat führt Begemann in vier verschiedenen Städten eines seiner Alben auf, mit sämtlichen Liedern, in Originalreihenfolge.

Am Sonntag war „Jetzt bist du in Talkshows“ (von 1996) dran. Der Rote Salon mit seinem staubigen Glanz diente der monomanischen Oldieshow untertänig als Kulisse. Die Schönheit der Lieder war groß und doch alles andere als zeitlos. Begemann wusste das und machte alle Anachronismen unschädlich, indem er auf sie einhackte. Die Ansage zu „Ute, vergiss das Jenseits“ – ein Lied über eine „Eso-Tante“ – ging zum Beispiel etwa so: „Jetzt kommt ein völlig veraltetes Lied. Sich über diesen Typus lustig zu machen, heißt ja auf was einschlagen, was schon tot am Boden liegt, nur um den bierseligen Pöbel zum Grölen zu bringen. Aber, was soll’s? Wir haben diese Profession gewählt und werden immer auf der Seite der Mächtigen und der Erniedriger sein.“

Ich war froh und verblüfft. Nur zwei Tage davor hatte ich nämlich im Rahmen eines sogenannten Song Slams (dasselbe wie Poetry Slam, nur mit Songs) ein in Titel und Inhalt wundersam ähnliches Lied gehört. Die Hook lautete „Sozpäd-Ute, du bist ’ne Gute“, und, was soll ich sagen, der Bierpöbel grölte. Der Interpret war eigentlich sympathisch gewesen und nicht mehr total jung, das Lied mag also ebenfalls älter gewesen sein. Aber wenn man das nicht dazusagt und sich nicht, wie Begemann, ironisch selbst historisiert, trennt einen nicht mehr viel von Roger Cicero, dem singenden Backlash.

In diesem Blatt hier war ja zu lesen, Ciceros Grand-Prix-Song „Frauen regier’n die Welt“ habe irgendwas mit Geschlechtergleichberechtigung am Hut. Das stimmt nicht. Mit dem gleichen Recht könnte man behaupten, Ahmadinedschad sei Philosemit oder die Weinschorle im Roten Salon ein feiner Tropfen. „Wie sie geh’n und steh’n/ Wie sie dich anseh’n/ Und schon öffnen sich Tasche und Herz/ Und dann kaufst du ’n Ring und ’n Nerz/ Ein lasziver Blick/ Und schon ändert sich deine Politik/ Kein Boss und kein Actionheld/ Kein Staat und kein Mafiageld/ Frauen regier’n die Welt“? Das ist übles Softmackertum, sonst nichts. JENS FRIEBE