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Archiv-Artikel

Poet der Verwitterung

Der Hirsch und der Affe schauen dem Verschwinden des Vergangenen zu – die Tierzeichnungen des chinesischen Künstlers Zhang Huans in der Galerie Volker Diehl setzen sich mit der Erosion von Traditionen auseinander

Hirsche, Pferde, Affen, Schildkröten. Das sind Tiere, die in unserem Kulturkreis mit bleierner Bedeutung bepackt sind. Wie aber verhält sich das auf der anderen Seite des Erdballs? Zhang Huan, einer der bekanntesten chinesischen Performance-Künstler der jüngeren Generation, stürzt die Betrachter seiner Tierzeichnungen in Verunsicherung.

Wessen symbolträchtige Tiere hat er wohl im Visier, dieser Künstler, der in einer der ärmsten Regionen Chinas aufgewachsen ist? Seit Ende der Neunzigerjahre lebt er in New York und in seinen Performances geht es um die Zusammensetzung von Identitäten und die Bauweise kultureller Stereotype, wenn er etwa seinen Körper mit Steaks drapierte, bis er kaum mehr laufen konnte, und sein Gesicht mit der Geschichte seiner Familie beschreiben ließ, bis es vollkommen schwarz war.

Zhang Huans Zeichnungen von Tieren, die derzeit in der Galerie Volker Diehl zu sehen sind, befassen sich nicht wirklich mit der Bedeutung der Tiere in der chinesischen oder der abendländischen Denktradition. Wer hier nachschlägt, dass der Affe im Westen ein Symbol für Eitelkeit und Bosheit ist, im Osten aber eines für Weisheit, dass die Schildkröte im Westen für Fruchtbarkeit steht und im Osten für das Universum, dass der Hirsch in Europa erotisch belegt ist, ein Christussymbol und Sinnbild der Erlösung, in China aber als Begleiter Laotses mit Langlebigkeit assoziiert wird, dem werden sich Zhang Huans Bilder eher verschließen.

Die Tiere selbst, die per Siebdruck vom Holzschnitt aufgetragen sind und in derselben Form immer wieder auftauchen, sie wirken eher starr, schablonenhaft und trotz ihrer Vertrautheit rätselhaft. Was Zhang Huans Bilder Leben einhaucht, das ist nicht das, was sie darstellen, sondern es sind die Formen und Farben, die er wie nachträglich aufgetragen hat: Die Schichten und Haufen, Flecken und Strudel aus Asche, Tusche und Sojasauce, die sich in zwei der Bilder sogar zu einem friedlichen menschlichen Gesicht mit geschlossenen Augen verdichten.

Ruht der Blick auf den komplexen Strukturen dieser Oberfläche der Bilder, wähnt man sich bald in einer alten Kapelle, in der die Fresken blättern, in einer Höhle voller Fossilien oder steinzeitlicher Malerei, oder verzaubert von einem historischen Fund, ganz verkleckert und verschimmelt. Es ist, als wäre nicht das Tier von Interesse, sondern als seien es die Schichten der Verunreinigung und Verwitterung, die sich über es legen. Ganz so, wie man nur noch wenig über den geschwächten Körper unter den schweren Steaks sagen kann, über das blasse Gesicht, das sich immer mehr unter der schwarzen chinesischen Schrift mit der Familiengeschichte verliert.

Wer sich im Augenblick mit China auseinandersetzt, der kommt nicht darum herum, sich mit dem Verlust von Tradition und Geschichte zu befassen. Zhang Huan tut dies auf sehr humorvolle Art. Er setzt Symbole als Sackgassen ein, die für nichts als Verwirrung sorgen – hier ist er ganz Zyniker. Weil aber diese Symbole so kraftlos geworden sind, versucht Zhang Huan, die Tiere zu antikisieren und sie wie nachträglich mit Vergangenheit zu garnieren. In China wird derzeit alles abgerissen, was bröckelt. Zhang Huan stellt das Bröckeln erst her. Hier ist er ganz Poet. SUSANNE MESSMER

Bis 10. April, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Galerie Volker Diehl, Zimmerstraße 88–91