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Archiv-Artikel

Aufschwung kommt bei Konsumenten an

Der Wirtschaftsaufschwung entfaltet eine neue Dynamik. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft erhöht seine Prognose für 2007 kräftig auf 2,8 Prozent. Bis 2008 könnte die Arbeitslosenzahl um 900.000 auf 3,3 Millionen sinken. Und die Löhne steigen

VON TARIK AHMIA

Die Zeichen in der deutschen Wirtschaft stehen nicht nur für Unternehmen und den Finanzminister auf Wachstum – jetzt sieht es danach aus, als würde zunehmend auch die Bevölkerung davon profitieren. Denn es mehren sich die Anzeichen, dass auch die Zahl der Arbeitslosen deutlich sinkt und die Konsumenten über mehr Geld verfügen werden. Diesen Schluss legen neue Informationen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) nahe, das gestern seine Konjunkturprognose veröffentlichte.

Nachdem die meisten Forschungsinstitute im vergangenen Jahr das Wirtschaftswachstum deutlich unterschätzt hatten, wollen die Wirtschaftsforscher den gleichen Schnitzer offenbar nicht wiederholen. Um ein sattes Drittel erhöhte das Kieler Institut seine bisherige Konjunkturprognose und setzte sich damit an die Spitze der optimistischsten Prognosen. Demnach werde die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um 2,8 Prozent zulegen statt. wie von den Kielern bisher erwartet, um 2,1 Prozent. Das wäre noch mehr als im vergangenen Jahr: Damals wuchs das Bruttoinlandsprodukt real um 2,6 Prozent. Der aktuelle Konsens aller Institute für das Wachstum in diesem Jahr liegt noch deutlich darunter, bei nur 1,7 Prozent. Für 2008 gehen die Forscher vom IfW von 2,4 Prozent Wirtschaftswachstum aus, selbst wenn sich der Aufschwung verlangsamen sollte. Auch die Experten vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erhöhten gestern ihre Wachstumsprognose für das erste Quartal von 0,4 auf 0,5 Prozent.

Noch im Dezember hatte die Furcht vor dem Mehrwertsteuerschock viele Frühindikatoren einknicken lassen. Der Schock hat den Konsum in der Tat voll erwischt, wie das DIW-Konjunkturbarometer belegt: Demnach sind die Einzelhandelsumsätze saisonbereinigt von Dezember auf Januar um 5 Prozent eingebrochen, die Kfz-Neuzulassungen gar um 14 Prozent.

Die ohnehin kränkelnde Inlandsnachfrage hat der Konjunktur aber offenbar nichts anhaben können. Als wichtigste Triebfeder für das Wachstum hat sich dabei die industrielle Produktion entpuppt. Sie nahm im Januar kräftig zu – ein Indikator dafür, dass sich der Aufschwung verstetigen wird.

Die Geschäfte könnten für viele Firmen kaum besser laufen. Untrügliches Zeichen dafür ist, dass die Kapazitätsauslastung der deutschen Industrie mit 87,5 Prozent auf den höchsten Stand ihrer Geschichte gestiegen ist. Die Auftragsbestände der Unternehmen sind nach IfW-Angaben so hoch wie seit dem Wiedervereinigungsboom nicht mehr.

Die Unternehmen reagieren lehrbuchmäßig: Weil sie weiterhin gute Absatzerwartungen haben, investieren sie kräftig. Das geht auch an den Beschäftigten nicht vorbei. Innerhalb der letzten zwölf Monate ist die Arbeitslosenquote so stark gesunken wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Erstmals seit 2001 werde die Zahl der Arbeitslosen von derzeit 4,2 Millionen unter die 4-Millionen-Marke sinken, so die übereinstimmende Schätzung mehrerer Institute. Für 2008 gehen die Kieler Forscher sogar davon aus, dass die Arbeitslosenquote um weitere 500.000 Menschen auf 3,3 Millionen Arbeitslose sinkt. Besonders viele Jobs werden bei unternehmensnahen Dienstleistungen wie der Softwareentwicklung, technischen Diensten oder Finanzdiensten angeboten.

Die Belebung der Wirtschaft wird sich auch in besseren Gehältern niederschlagen. So einigten sich am vergangenen Donnerstag die Tarifpartner der Chemieindustrie auf Lohnerhöhungen um 4,3 Prozent. Gestern Abend begann die erste Metall-Tarifrunde in Nordrhein-Westfalen. Die Gewerkschafter fordern 6,5 Prozent mehr Lohn. Für die Wirtschaftsforscher vom IfW in Kiel wäre das allerdings maßlos. Sie predigen generell strikte Lohnzurückhaltung. Aber selbst sie erwarten mehr Geld für alle. „Der private Konsum wird deutlich zunehmen, und die real verfügbaren Einkommen steigen“, heißt es in der IfW-Prognose.