: Internetsperren sind passé
INNENPOLITIK Die Koalitionsspitzen von CDU/CSU und FDP einigen sich darauf, Kinderpornoseiten im Internet zu löschen. Eingerichtet wird zudem eine Visa-Warndatei
VON CHRISTIAN RATH
In Deutschland werden doch keine Internetsperren eingeführt. Das hat der schwarz-gelbe Koalitionsausschuss am Dienstagabend auf Druck der FDP beschlossen. Im Gegenzug stimmten die Liberalen der Einrichtung einer Visa-Warndatei zu.
Im Juni 2009 hatte der Bundestag auf Betreiben der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz beschlossen. Seitdem ist das Bundeskriminalamt (BKA) eigentlich verpflichtet, täglich eine Liste von Kinderpornoseiten an die deutschen Internetprovider zu liefern. Die Provider sollten dann für ihre Kunden den Zugang erschweren und sie auf eine Stoppseite umleiten.
Kritiker befürchten, dass die Sperr-Infrastruktur bald auch gegen andere unliebsame Inhalte eingesetzt wird. Die FDP hatte deshalb in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt, dass das Gesetz zunächst nicht angewandt wird. Ein Jahr lang sollte stattdessen das BKA versuchen, eine Löschung von Kinderpornoseiten an der Quelle, also im Ausland, zu erwirken.
Die ursprünglich geplante Evaluation des einjährigen Versuchs führte der Koalitionsausschuss nun im Handstreich durch: Das Zugangserschwerungsgesetz ist nicht mehr gewollt und wird aufgehoben. Nächste Woche werden die Fraktionen von FDP und CDU/CSU einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, kündigte der FDP-Internetexperte Jimmy Schulz an.
Der Durchbruch wurde durch neue Statistiken des BKA erleichtert. Danach sind zwei Wochen nach einer Kontaktaufnahme des BKA mit der zuständigen ausländischen Polizei 93 Prozent der Kinderpornoseiten an der Quelle gelöscht. Nach vier Wochen sind es sogar 99 Prozent. Die Union hatte sich zunächst auf ältere BKA-Statistiken berufen. Danach waren eine Woche nach BKA-Kontaktaufnahme noch ein Drittel der ausländischen Kinderpornoseiten online. Deshalb sollten die deutschen Provider für ihre Kunden eine – allerdings leicht zu umgehende – Sperre zu solchen Seiten einbauen. Davon war zuletzt aber sogar der CSU-Netzrat abgerückt.
Die geplante Visa-Warndatei soll deutschen Botschaften im Ausland die Entscheidung über die Gewährung von Visa erleichtern. So soll schnell erkennbar sein, ob der einreisewillige Ausländer oder die Person, die ihn nach Deutschland eingeladen hat, schon einmal wegen Terrorismus, Drogendelikten oder Menschenhandel verurteilt wurde. Wenn terroristische Gefährder einen Visumsantrag stellen, werden automatisch die Sicherheitsbehörden informiert.
Entgegen ursprünglichen Unionsplänen soll es für die Aufnahme in die Warndatei nicht genügen, wenn jemand schon einmal falsche Angaben bei einer Ausländerbehörde gemacht oder einen erfolglosen Asylantrag gestellt hat.
Über die Vorratsdatenspeicherung wurde bei dem Treffen nach Angaben von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nicht gesprochen.
Gesellschaft + Kultur SEITE 14