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Archiv-Artikel

Brüssel lässt nicht am Sparkurs rütteln

EUROPA Wegen ungünstiger Wirtschaftsdaten droht in der Europäischen Union eine Rezession

BRÜSSEL taz | Eine „interne Angelegenheit“ ist der Rücktritt der französischen Regierung für die EU-Kommission in Brüssel. Selbst auf Nachfragen wollte sich die Behörde nicht zur massiven Kritik des gestürzten Wirtschaftsministers Arnaud Montebourg am Sparkurs in Europa äußern. Dabei steht Montebourg nicht allein.

Seit Wochen fordern Sozialdemokraten und Sozialisten in der EU ein Ende der Sparpolitik und eine gezielte Förderung des Wachstums, etwa durch öffentliche Investitionen. Neben SPD-Chef Sigmar Gabriel und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat vor allem Italiens Premier Matteo Renzi eine Umkehr verlangt.

Doch geschehen ist nichts. In ihrem Frühjahrsgutachten verlangte die EU-Kommission unbeirrt, am „bewährten“ Kurs für die Eurozone festzuhalten. Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) stemmten sich gegen jede Änderung am Stabilitäts- und Wachstumspakt, der Frankreich detaillierte Vorgaben zum Defizitabbau macht. Der Pakt enthalte bereits genug Flexibilität, heißt es gleichlautend in Brüssel und Berlin. Das ist zwar richtig, geht aber am Kern des Problems vorbei. Denn während die EU-Politiker noch über die Auslegung ihrer eigenen Regeln streiten, verschlechtert sich die Wirtschaftslage in Euroland zusehends.

Nicht nur Frankreich leidet, auch Schulmeister Deutschland bekommt Probleme: Im zweiten Quartal schrumpfte überraschend die deutsche Wirtschaft. Gestern wurde der neue Ifo-Geschäftsklimaindex bekannt – er schrumpft zum vierten Mal in Folge. Das verheißt nichts Gutes.

Euroland droht nun nicht mehr nur eine Deflation, sondern womöglich sogar ein Rückfall in die Rezession. Die Lage ist so ernst, dass sogar der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, vom Austeritätskurs abrückt. „Das Risiko, bei der Nachfragestärkung zu wenig zu tun, ist derzeit größer als das Risiko, zu viel zu tun“, so der Italiener.

Für Draghi sind vor allem die Regierungen der Euroländer am Zug, denn die EZB hat ihre Trümpfe schon weitgehend ausgereizt. Im Kern sagt er damit nichts anderes als Montebourg, der ein Ende der „kafkaesken“ Sparpolitik gefordert hatte. Doch auch Draghis Appell dürfte nicht viel bewegen. Denn die EU hat derzeit andere Sorgen. Beim nächsten Gipfel am kommenden Samstag steht nicht etwa die Wirtschaftskrise auf dem Programm, sondern die Verteilung von Pöstchen. ERIC BONSE