piwik no script img

Archiv-Artikel

Mord nach einem Anruf beim Cousin

Acht Frauen einer arabischen Großfamilie in Israel wurden in den letzten Jahren von ihren Angehörigen getötet. Sie hatten die „Familienehre“ verletzt. Die Polizei kann potenzielle Opfer nicht schützen und auch kaum auf Mithilfe der Bevölkerung zählen

AUS RAMLE SUSANNE KNAUL

„Die Abu Ghanems wohnen dort drüben“, weist eine junge, verschleierte Araberin auf ein ärmliches kleines Einfamilienhaus. „Die Frauen sind alle abgehauen.“ Kein Wunder, denn vor wenigen Wochen ist hier am helllichten Tag eine 19-Jährige erschossen worden, als sie in ihrem Bett lag. Hamda Abu Ghanem hatte in den Augen ihres Bruders die Familienehre beschmutzt und sollte dafür bestraft werden. Sie ist die achte Frau, die ein männliches Mitglied der Großfamilie für das gleiche Vergehen zum Tode verurteilte.

Die Wände sind unverputzt, obwohl das Haus schon einige Jahre alt sein dürfte. Das wegen Drogen und Gewalt verrufene Viertel Juarisch in Ramle wird zumeist von Beduinen bewohnt, die seit 1948 aus dem südlichen Negev vertrieben und hier angesiedelt wurden. Zwischen den kahlen Betonblöcken schauen rostige Eisenstäbe hervor.

Die Fenster der Abu Ghanems sind vergittert und die Rollläden heruntergelassen. Das Haus scheint unbewohnt, wäre da nicht die Satellitenschüssel und ein Wasserkanister, die auf dem hinteren Flachdach stehen. Und eine zerrissene grüne Fahne, die auf Sympathie zum islamischen Extremismus deutet.

Hamda wusste, dass sie sich in Lebensgefahr befand. Mit 16 floh sie vor ihren Brüdern, lebte in einem Frauenhaus, bis sie es dort nicht mehr aushielt und zu ihrer Familie zurückging. Wenige Monate später griff sie ihr Bruder Kamal an, trat sie gegen Beine und Kopf und drohte sie zu töten, nur weil sie mit ihrem Cousin telefoniert hatte. Hamda zeigte ihren Bruder an, widerrief jedoch kurze Zeit später ihre Anschuldigungen. Drei Monate nachdem Kamal aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, war sie tot.

„Hamda ist nicht das letzte Opfer“, meint Reema Hazzan von den „Frauen gegen Gewalt“, eine in Nazareth ansässige Initiative arabischer Frauen gegen den „Ehrenmord“. Die Abu Ghanems sind kein Einzelfall, auch wenn die hohe Zahl der Opfer in einer einzigen Familie beispiellos bleibt. Im vorigen Jahr starben Israel-weit acht arabische Frauen durch die Hand männlicher Familienmitglieder. 2005 waren es elf. Dabei ist das Motiv oft banal, ein Telefonat oder auch nur ein kurzes Gespräch mit einem Mann auf der Straße reichen bisweilen schon aus.

Die Mordserie bei den Abu Ghanems begann vor sieben Jahren. Reemas Kritik richtet sich vor allem gegen die Polizei, deren Schutzmaßnahmen nicht den Realitäten entsprächen, zum Beispiel, wenn sie den Frauen Reise und Starthilfe im Ausland anbieten. „Wie sollten diese Frauen im Ausland zurechtkommen“, fragt Reema nüchtern, „wenn sie sich nicht einmal hier allein durchschlagen können.“ Der einzige Weg, den Frauen eine sichere Zukunft zu garantieren, sei der Kampf gegen das Phänomen. Doch Veränderungen kann man „nicht an einem Tag und nicht in Wochen erreichen, sondern dazu braucht man Jahre“.

Der Polizei-Bezirkskommandant Jiftach Dochowni wies die Verantwortung zurück. „Wir können nur den schützen, der geschützt werden will“, erklärt der Mittfünfziger, der selbst über vier Jahre die Polizeistation in Ramle unter sich hatte. „Hamda ist gegen unseren Rat nach Hause zurückgekehrt“, sagt er. Auch mit dem vorletzten Opfer, Reem Abu Ghanem, habe er noch wenige Tage vor ihrem Tod telefoniert, um sie vor ihrem Bruder zu warnen, einem Kinderarzt, der vor seiner Verurteilung steht.

Den Vorwurf, die Polizei behandelte den Mordfälle unter Arabern mit Nachlässigkeit, hört sich Kommandant Dochowni ebenso ungern an. Jeder Mord werde mit gleicher Intensität und gleichem personellen Aufgebot untersucht, ganz egal welcher Abstammung das Opfer sei, betont er. Unterschiedlich sei, dass die Polizei im arabischen Sektor nicht auf Kooperation zählen könne. „Der Mordschauplatz ist immer sauber geputzt. Außerdem gibt es niemanden, der nach einem ‚Ehrenmord‘ öffentlich Trauer zeigt.“

Nach dem Mord an Hamda war das anders. Hamdas Mutter lieferte den Mörder, ihren eigenen Sohn, aus und auch die anderen Frauen in der Familie sind erstmals bereit, vor Gericht auszusagen. „Die Veränderung muss von innen kommen, von den Arabern und Araberinnen selbst“, sagt Dochowni, der auf weiteren Widerstand der bedrohten Frauen hofft. Wer Reformen und Modernisierung vorantreiben könnte, seien die muslimischen Führer, die sich kaum gegen die Frauenmorde stellten. Daher werde die Gewalt andauern, meint Dochowni und verabschiedet sich zynisch: „Tschüss, bis zum nächsten Mord.“