: Zahlen Sie eine Milliarde!
„Web 2.0“ im Niedergang: Der Medienkonzern Viacom verklagt den Medienkonzern Google wegen Urheberrechtsverletzungen von YouTube-Nutzern – weil er ein eigenes Videoportal eröffnen will
VON DIETER GRÖNLING
Erst im letzten November hat Google das bis dahin recht unbedeutende Video-Communityportal YouTube für sagenhafte 1,65 Milliarden Dollar gekauft. Nun wird der Deal zum milliardenschweren Problemfall. Nach monatelangen erfolglosen Verhandlungen verklagte der Medienriese Viacom YouTube und Google als Mutterkonzern wegen Urheberrechtsverletzungen auf eine Milliarde US-Dollar (761 Mio. Euro) Schadenersatz. Hintergrund der Klage ist, dass die YouTube-Nutzer viele Clips von Sendungen der Viacom-Sender wie MTV, Comedy Central oder Nickelodeon ins Internet stellen. Viacom beziffert die Zahl solcher illegalen Ausschnitte auf mehr als 160.000. Sie seien 1,5 Milliarden Mal angesehen worden.
Dürftige Auflösung
Bei YouTube kann jeder Videoclips online stellen. Neben unglaublich vielen schrägen und manchmal auch witzigen Amateurvideos gibt es auch Clips von bekannten Hits, die jedoch oft von den Nutzern „bearbeitet“ werden. So entsteht eine Vielzahl von neuen, neu geschnittenen oder mit eigenen Aufnahmen angereicherten Versionen. Die technische Qualität ist jedoch recht dürftig – wegen der bei bildschirmfüllenden Videos recht hohen Ladezeiten wird bei YouTube und anderen Community-Portalen die Bildgröße zwangsweise drastisch reduziert. Zudem müssen Urheberrechtsinhaber nach geltendem US-Recht illegal platzierte Fragmente selbst finden und vom Website-Betreiber verlangen, dass sie entfernt werden.
Google war sich von Anfang an der Risiken bei YouTube bewusst. Konzernchef Eric Schmidt kündigte mehrfach Maßnahmen gegen die Verstöße an, der versprochene Software-Filter, der geschütztes Material automatisch finden soll, lässt bis heute auf sich warten. Das ist kein Wunder, denn technisch ist so etwas kaum machbar.
Seit Jahren propagieren Medienkonzerne das interaktive „Web 2.0“. Die Viacom-Klage markiert den Anfang vom Ende dieses Hypes. Es kann auf Dauer nicht gut gehen, dass Internet- und Medienunternehmen viel Geld mit dem Engagement und der Arbeit unzähliger Nutzer verdienen, während diese leer ausgehen. Auch von den 1,65 Milliarden Dollar, die Google für YouTube gezahlt hat, haben die, die viele tausend Videobeiträge hergestellt haben, keinen Cent abbekommen. Angesichts der geplatzten Dotcom-Blase vor einigen Jahren werden derartige Geschäftsmodelle bereits als Blase 2.0 bezeichnet.
Auch den nicht selbst aktiven YouTube-Nutzern dürfte die Viacom-Klage selbst dann gleichgültig sein, wenn Google tatsächlich die beanstandeten Videos ausfindig macht und aus dem Netz entfernt. Videoclips, selbst ganze TV-Serien und Spielfilme holen sie sich längst in BitTorrent-basierten Filesharing-Netzen und anderswo – in bildschirmfüllender Qualität. Die Frage, ob das illegal ist, stellt sich einfach nicht. So etwas interessiert kaum jemanden. Im letzten Jahr wurden zusammen genommen fast dreimal so viele CD- und DVD-Rohlinge verkauft wie Musik-CDs und Film-DVDs.
Legale Alternative
Und längst gibt es Webseiten, wo aktuelle Videoclips und Musik völlig legal mit dem Segen der Künstler in hervorragender Qualität angeschaut, gehört und auch heruntergeladen werden kann. Man muss nur danach suchen. Ein hervorragendes Beispiel ist eminemlounge.com. Dort sind stets neue Produktionen befreundeter Hiphopper wie Eminem, 50 Cent, Obie Trice, Akon und anderen erhältlich. Das verstößt gegen keine Urheberrechte, weil es von den Künstlern selbst ins Netz gestellt wird.
Dennoch fürchten Medienkonzerne wie Viacom die wachsende Konkurrenz aus dem Netz. Die Millionen selbst gedrehter Videos bei YouTube und anderswo bilden zwar eine illustre Mischung aus Schwachsinn und gKreativität, werden auf lange Sicht jedoch spätestens dann Sehgewohnheiten verändern, wenn der Breitband-Internetanschluss bei wirklich allen zum Standard geworden ist und der Unterschied zwischen TV und Internet endgültig verschwindet. Viacom und andere große Senderketten basteln amerikanischen Medienberichten zufolge bereits an eigenen Konkurrenz-Websites und zeigen auch Interesse an einer Kooperation mit dem neuen Internet-Videodienst Joost, der noch in der Entwicklungsphase steckt. Vor diesem Hintergrund ist die Viacom-Klage nichts weiter als ein Mittel, einen lästigen Konkurrenten zu schwächen. Auf das, was tatsächlich im Netz passiert, hat sie keinen Einfluss.