: Per Bahn durch den Klimawandel
Ist die Preiserhöhung beim HVV unvermeidlich oder das falsche Signal in dieser Zeit? Ein Pro und Contra zu den überdurchschnittlichen Preissteigerungen im Nahverkehr der vergangenen Jahre
Pro
Dass der HVV seine Preise überdurchschnittlich erhöht hat, ist legitim. Schließlich bietet der Verkehrsverbund heute mehr als vor zehn Jahren. Das Streckennetz, das Angebot, das Einzugsgebiet – alles ist größer geworden und kostet entsprechend mehr Geld. Außerdem sind die Energiepreise stärker gestiegen als die Inflationsrate. Wer verlangt, dass die Preise für Busse und Bahnen in Zeiten des Klimawandels nicht steigen dürfen, argumentiert verquer: Zum einen ist Preis nicht entscheidend für die Wahl zwischen Auto und Bus oder Bahn. Zum anderen folgt die Forderung der Losung der Billigheimer, die das Klima zwar gerne schützen wollen – aber nur, wenn es sie nichts kostet.
24 Prozent ist der Einzelfahrschein für den Nahbereich heute teurer als vor zehn Jahren. 15 Prozent sind es bei Zwei-Zonen-Abo-Karten. Die allgemeine Teuerung dagegen lag nur bei gut 13 Prozent. Doch auch der HVV war bei wichtigen Posten mit überdurchschnittlichen Preissteigerungen konfrontiert: Der Strom für U- und S-Bahnen wurde 15 Prozent teurer, der Dieseltreibstoff für die Busse um 41 Prozent.
In den vergangenen zehn Jahren hat der HVV sein Verbundgebiet auf die schleswig-holsteinischen und niedersächsischen Nachbarkreise ausgedehnt. Pendler brauchen seither nur noch einen Fahrschein. Viele von ihnen fahren billiger. Die Zahl der Fahrgäste ist von 477 Millionen 1997 auf 597 Millionen in 2006 (Schätzung) gestiegen und parallel dazu das Angebot: Bot der HVV 1997 rund 22,4 Millionen Platzkilometer an (Sitzplätze mal gefahrene Kilometer), waren es 2005 rund 35,6 Millionen. Das Streckennetz wuchs von 2.160 auf 11.900 Kilometer.
2001 hat der HVV in Hamburg das Metrobusnetz eingeführt, ein Netz eng und gleichmäßig getakteter Buslinien, für die es einen Streckenplan ähnlich dem von U- und S-Bahn gibt. Umgerechnet rund vier Millionen Euro kostete dessen Einführung. Ebenfalls vier Millionen Euro im Jahr kostet es, die U- und S-Bahnen in den Wochenend-Nächten durchfahren zu lassen. Heute gibt es in vielen Bussen Klimaanlagen, Videokameras sollen die Sicherheit verbessern und digitale Fahrgastinformationen die Übersicht. Die vom HVV in Auftrag gegebenen Fahrgastumfragen bescheinigten dem Verbund von Jahr zu Jahr bessere Noten. „Wir haben festgestellt, dass die Kunden eher auf eine Veränderung der Qualität reagieren als auf eine Veränderung der Preise“, sagt eine Sprecherin.
Nach einem Index des HVV sind auch die Gesamtkosten des Autofahrens in den vergangenen zehn Jahren überdurchschnittlich teurer geworden: um 25 Prozent. Trotzdem ist der Verkehr munter weiter gewachsen.
GERNOT KNÖDLER
Contra
Die Erhöhung der HVV-Preise um 3,5 Prozent ist ein falsches Signal in dieser Zeit. Gerade jetzt, da der Schock über die UN-Klimaberichte tief sitzt, gibt es die Chance, breitere Bevölkerungsschichten zum Umsteigen auf Bus und Bahn zu bewegen. Da muss deutlich werden, dass der HVV eine bezahlbare Alternative ist und kein teurer Luxus für seit jeher Umweltbewusste.
Aber wer von Rahlstedt oder Altona zum Einkauf in die City fahren möchte, zahlt für die Tageskarte künftig sechs Euro. Das sind für altmodische Menschen wie mich, die noch immer alles umrechnen, zwölf Mark!
Die Einnahmen durch diese Preiserhöhung von rund zwölf Millionen Euro sollen helfen, ein Familienticket zu finanzieren, das in dieser Form überflüssig ist. Es profitiert davon nämlich auch der gut verdienende Manager, der zwar Kinder hat, den es aber überhaupt nicht juckt, ob er nun 60 oder 65 Euro im Monat für sein Ganzjahresticket zahlt. Während arme Familien, die sich kein Abo leisten können und nur sporadisch HVV nutzen, unter der Preiserhöhung leiden.
Das Familienticket wurde zu einer Zeit überlegt, als der Senat wegen diverser Spareinschnitte wie dem Büchergeld und den Vorschulgebühren in Verruf geriet. Es ist ein verspätetes Trostpflaster. Um einen familienpolitischen Schnitzer auszugleichen, wird falsche Umweltpolitik gemacht. Hilfreicher wäre ein, auch für arme Familien erhältliches, Sozialticket, wie es dies bis 2003 gab, für 20 oder 25 Euro.
Sicher, es sind nicht nur die Preise, die die Menschen vom Umsteigen auf HVV abhalten. Die Bahn an sich muss attraktiv und zuverlässig sein. Rumpelige Busse, die die Mitfahrer durch die Gegend schunkeln, sollten durch komfortable Straßenbahnen ersetzt werden. Paris führte gerade eine neue Tram ein.
Die Menschen sind nicht gewissenlos, sie sind bereit, Einschränkungen und Veränderungen in Kauf zu nehmen, wenn es auch nur ein winziges Stück hilft, die Erderwärmung zu bremsen. Die Losung ‚Fahrt nur weiter eure Privatwagen, wir regeln das alles über verbesserte Technik‘ ist ein Vabanque-Spiel und nimmt die Menschen nicht ernst. Wir brauchen eine Politik, die dies erkennt und entsprechende Visionen entwickelt, und nicht eine alljährlich wiederkehrende Preisanhebung nach dem Motto ‚Alles wird teurer‘.
Hinzu kommt, dass eine auto-entschlackte Stadt auch richtig schick sein kann. Wer viel Rad fährt, braucht nicht ins Fitness-Studio, wer Bahn fährt, hat Zeit zum Lesen. Wenn weniger Blechkisten herumführen, gäbe es auch weniger Gefahr für spielende Kinder. Das wäre die familienfreundlichste Verkehrspolitik.
KAIJA KUTTER