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„Berlin muss sich nach der Decke strecken“

So nah waren sie sich noch nie: die grüne Ökofrau Franziska Eichstädt-Bohlig und der FDP-Marktradikale Martin Lindner. Im Interview erklären die Fraktionschefs, warum Rot-Rot sie einander näher bringt. Und was die Stadt von ihrer gemeinsam mit der CDU veranstalteten „Berlin-Konferenz“ hat

FRANZISKA EICHSTÄDT-BOHLIG, 65, ist seit 2006 eine der beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen. Zuvor saß die Städtebauexpertin elf Jahre lang im Bundestag. Sie plädiert für einen Ausbau Berlins zur „Solarhauptstadt“ Deutschlands und die stärkere Förderung von Wissenschaftseinrichtungen, Kitas und Schulen.

MODERATION MATTHIAS LOHRE

taz: Frau Eichstädt-Bohlig, Herr Lindner, hätten Sie vor einem Jahr gedacht, dass Sie heute den Berlinern gemeinsam erklären, was die Stadt braucht?

Franziska Eichstädt-Bohlig: Nein, das hätte ich nicht gedacht. Bei allen inhaltlichen Unterschieden zwischen Herrn Lindners FDP, der CDU und mir: Gemeinsam können wir Oppositionsparteien den trägen Senat besser antreiben. Und das ist das Ziel der Berlin-Konferenz.

Martin Lindner: Vor einem Jahr war es ganz anders. Da sind alle Parteien gerade in den Kampfanzug gestiegen, es war Wahlkampf. Aber ansonsten haben wir eine Reihe von Gemeinsamkeiten: In Sachen Landeshaushalt sind Grüne und FDP weitgehend d’accord. Da gibt es sogar mehr Gemeinsamkeiten als zwischen uns und der CDU.

Vor zwei Jahren lieferte die Enquetekommission „Eine Zukunft für Berlin“ Vorschläge zum Umbau der Stadt. Die Vorschläge sind weitgehend liegen geblieben. Warum braucht die Stadt Ihre „Berlin-Konferenz“?

Eichstädt-Bohlig: Wegen des Karlsruher Urteils. Wir wollen, dass alle Abgeordnetenhausfraktionen Konsequenzen aus Berlins Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht ziehen. Leider verweigern SPD und Linkspartei die Konferenzteilnahme. Sie haben eine Art Karlsruhe-Tabu ausgerufen. Wenn der Senat nicht über die Folgen für Berlin spricht, muss es die Opposition tun.

Lindner: Seit dem Karlsruhe-Urteil zeigt sich: Jenseits der Parteipolitik gibt es viele konkrete Vorschläge, wie Berlin vorankommen kann. Weit mehr, als Rot-Rot zu bieten hat. Beispielsweise wird die Hertie School of Governance Vorschläge machen, wie wir unnötige und hemmende Bürokratie auf Bezirks- und Landesebene loswerden.

Ist das nicht alter Wein in neuen Schläuchen? Jede Partei lässt Außerparlamentarier ihre bekannten Vorschläge erneut auftischen und nennt das Ganze „Berlin-Konferenz“.

Lindner: Eben nicht. Ein Beispiel: Ich brauche keine Konferenz, um zu wissen, dass ich die landeseigenen Wohnungsunternehmen am liebsten gleich verkaufen würde. Aber das Spannende ist, zu erfahren, wie viele Gemeinsamkeiten Parteien, Forschungsinstitute und Unis in Fragen wie dieser finden können. Die Konferenz ist nur der Anfang.

Eichstädt-Bohlig: Richtig. Wir wollen zum einen den Dialog mit der Bürgergesellschaft. Zum anderen wollen wir Antworten auf die Frage finden: Wie lassen sich Sparzwang und Zukunftsgestaltung vereinbaren?

Trotzdem: Wo bleibt die gemeinsame Botschaft? Wenn Sie, Herr Lindner, den Verkauf aller Landeswohnungen fordern, atmet Frau Eichstädt-Bohlig tief ein.

Lindner: Die Botschaft lautet: Berlin muss die Chance aus der Niederlage ergreifen.

Ihre Botschaft hat ein schlechtes Timing. In dieser Woche hat Finanzsenator Sarrazin verkündet: Berlin hat im Jahr 2011 zum ersten Mal seit der Wende einen ausgeglichenen Haushalt. Wer will da Reformvorschläge hören?

Lindner: Es stimmt: Viele Dinge drohen auf die lange Bank geschoben zu werden. Dagegen müssen wir angehen.

Ein Beispiel?

Lindner: Die lange Zeit hinausgeschobene Verwaltungsreform. Wir haben ein völlig ungeordnetes Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander zwischen Landes- und Bezirksebene. Der Finanzsenator kürzt seit Jahren die Stellen im Öffentlichen Dienst, ohne die Kompetenzen neu zu verteilen. Potenzielle Investoren kommen nach Berlin und verirren sich auf den Gängen irgendeines Bezirksamts. Gerade in einer finanziell entspannten Phase müssen solche Reformen angepackt werden. Das Ende des Geldregens kommt bestimmt.

Eichstädt-Bohlig: Der Senat handelt nach dem Motto: Hauptsache, wir überstehen die Legislatur bis 2011. Aber das reicht nicht. Bis 2019 sacken die Solidarpaktmittel schrittweise von mehr als 2 Milliarden Euro auf 0. Ich war gerade bei der BVG. Dort sammelt sich auch 1 Milliarde Euro Schulden an. Das werden wir aus Steuern finanzieren, wenn wir sie nicht mit unserer BVG-Fahrkarte bezahlen. Und, und, und …

Herr Lindner, Sie haben Bundesprominenz geladen, die nicht als besonders Berlin-freundlich gilt. Die Bundes-FDP will den Parlamenten übermäßiges Schuldenmachen verbieten. Steht am Ende der Konferenz nur die bekannte Einsicht: Berlin muss mehr sparen?

Lindner: Nein, es geht auch um Antworten auf die Frage, wer was in Berlin zahlt. Soll der Bund die Bewachung von Botschaften und Regierungsbauten übernehmen oder das Land? Welche Kultureinrichtungen finanziert Berlin? Darüber wollen wir mit dem Bund und den Geberländern des Länderfinanzausgleichs reden.

Apropos Finanzausgleich: Ihr Konferenzgast Gerhard Stratthaus (CDU), Finanzminister in Baden-Württemberg, hält die Geldströme zwischen den Bundesländern für das größte Wachstumshindernis. Die Hauptstadt ist jedoch deren größter Nutznießer. Reden Sie das Ende der Milliarden für Berlin herbei?

MARTIN LINDNER, 42, führt seit fünf Jahren die FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Der gelernte Jurist und Kaufmann fordert radikale Maßnahmen: Am liebsten will er alle 270.000 Landeswohnungen verkaufen. Zudem setzt er sich für eine Verwaltungsreform ein, um Unternehmen die Ansiedlung zu erleichtern. FOTOS: WOLFGANG BORRS

Eichstädt-Bohlig: Nein. Berlin braucht diese 5 Milliarden Euro aus dem Finanzausgleich. Aber der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit tut so, als bekäme Berlin gar keine Hilfen. Die Stadt muss die Leistung des Bundes und der anderen Länder honorieren und etwas aus diesem Geld machen. Die angesprochene Verwaltungsreform gehört dazu.

Lindner: Dass die Geberländer auf eine Reform drängen, finde ich absolut verständlich. Es kann doch nicht sein, dass der am Ende am schlechtesten dasteht, der am meisten in den Finanztopf einzahlt. Das lähmt. Deshalb sagt der Senat: „Warum soll ich aufwändige Standortpolitik betreiben, wenn das große Kosten bringt? Am Ende des Tages habe ich nichts davon.“

Ihr Vorschlag?

Lindner: Die Finanzhilfen müssen ans Wirtschaftswachstum gekoppelt werden: Je erfolgreicher ein Land seine Wirtschaft fördert, desto mehr Geld darf es aus dem gemeinsamen Finanztopf abziehen. Das verstehe ich unter Wettbewerbsföderalismus. Der Sinn von Föderalismus ist Wettbewerb. Sonst können wir gleich einen Einheitsstaat bauen.

Eichstädt-Bohlig: Vorsicht. Schütten Sie nicht das Kind mit dem Bade aus. Es muss einen Finanzausgleich geben, um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Land herzustellen. Aber Sie haben Recht: Es muss Anreize zu gutem Haushalten geben. Berlin muss sich da mehr nach der Decke strecken. Ich will, dass Berlin begründet, wofür es das Geld aus dem Finanzausgleich einsetzt.

Und, wofür?

Eichstädt-Bohlig: Da sind sich Parteien jeder Couleur einig. Berlin hat wenig Industrie, aber kluge Köpfe. Wissenschaft und Kultur sind das, was für Hamburg der Hafen ist. Einverstanden, Herr Lindner?

Lindner: Einverstanden.

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