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Archiv-Artikel

Warschauer Gesetze

Polens Bildungsminister will Aufklärung über Homo- sexualität unter Strafe stellen. Kommt er damit durch?

Wenn es nach Polens Bildungsminister Roman Giertych ginge, müssten LehrerInnen, die in ihrem Unterricht auch nur erwähnen, dass es so etwas wie gleichgeschlechtliche Liebe gibt, mit hohen Geldstrafen oder sogar Entlassung rechnen. Unter Federführung des ultrarechten Parteichefs der „Liga Polnischer Familien“ entstand ein Gesetzentwurf zum Schutz der polnischen Jugendlichen vor „homosexueller Propaganda“. Stimmte das polnische Parlament diesem Entwurf zu, würde der schon jetzt nur eingeschränkt mögliche Aufklärungsunterricht in polnischen Schulen weiter beschnitten.

So hatte Vizebildungsminister Orzechowski Plakate des Krakauer Aids-Aufklärungsprojekts Lambda, das zwei sich küssende Männer zeigt, als Beweis für die Richtigkeit seiner Politik in die Kameras gehalten: „Homosexuelle Propaganda ist zum Beispiel das, was ich hier vor mir habe. Da braucht man nichts weiter zu sagen. Hier haben wir die Anleitung dafür, wie Homosexuelle Sex treiben.“

Auch Polens Ministerpräsident Jarosław Kaczyński ist schon Feuer und Flamme. Er glaubt an eine deutliche Mehrheit für das Gesetz, das dem EU-Antidiskriminierungsgesetzen eindeutig zuwiderliefe.

Tomasz Baczkowski von der Polnischen Bürgerrechtsbewegung der Homosexuellen ist sich hingegen sicher, dass dieses Gesetz bereits vom polnischen Verfassungsgericht kassiert würde: „Der Gesetzentwurf hat überhaupt keine Chance, es handelt sich um eine populistische Maßnahme, die die wirklichen Probleme übertünchen soll: An den Schulen gibt es keine Computer, die Lehrer sind unterbezahlt“, erklärte er gegenüber der taz. Niemand, nicht mal die „Liga Polnischer Familien“ wisse, was „homosexuelle Propaganda“ genau sein solle. Schlimmer sei jedoch, dass Roman Giertych im Zusammenhang Homosexualität als Perversion bezeichne – wogegen man nun mehrere Zivilklagen einreichen werde.

Baczkowski, unter anderem Organisator des Warschauer CSDs, fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, den geplanten Verstoß gegen europäisches Recht anlässlich ihres Besuchs in Polen anzusprechen: „Giertych attackiert eine große Bevölkerungsgruppe, und zwar nicht nur in Polen. Dieser Gesetzesentwurf ist ein Skandal. Er entspricht zudem exakt dem Wortlaut der Nürnberger Gesetze – man muss nur das Wort Juden durch Homosexuelle austauschen.“

MARTIN REICHERT