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Archiv-Artikel

„Kulturelle Lernung“

Spätestens seit „Borat“ glaubt jeder zu wissen, wie es um die Gebräuche der Kasachen bestellt ist. Anlässlich des DVD-Starts karrte 20th Century Fox Journalisten in das tatsächliche Kasachstan

Der Präsident des zentralasiatischen Staates Kasachstan, Nursultan Nasarbajew, konnte überhaupt nicht über den Hinterwäldler Borat lachen

VON BARBARA OERTEL

Eine solche Mission hätte Batyr Essenov vor einigen Monaten wohl noch für einen schlechten Witz gehalten. Doch dem Kinohelden Borat alias Sacha Baron Cohen, einem fiktiven durchgeknallten kasachischen Reporter, der nach Amerika reist zwecks „kultureller Lernung, um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen“, sei Dank: Jetzt wird für Essenov aus Spaß Ernst. Heute soll der kleinwüchsige, drahtige Kasache mit einer undefinierbaren, zwischen Mittelbraun und Grau changierenden Farbe des ausgedünnten Haupthaares, 23 westlichen JournalistInnen Almaty, die ehemalige Hauptstadt Kasachstans, näher bringen.

Eingeladen zu der Entdeckungsreise „ins wahre Kasachstan“, den mehrheitlich muslimischen und flächenmäßig neuntgrößten Staat der Erde, hatte die 20th Century Fox, die mit ihrem Streifen „Borat“ 284 Millionen US-Dollar eingespielt hat. Jetzt will sie den weltweiten Start der gleichnamigen DVD in diesem Monat promoten, aber wohl auch die Kasachen wieder ein wenig versöhnen.

Schließlich konnte der Präsident des zentralasiatischen Staates, Nursultan Nasarbajew, über den Hinterwäldler Borat überhaupt nicht lachen, als der einer amerikanischen Partyrunde die wohlgeformten Ergebnisse seines Toilettenbesuches in einem Plastikbeutel zum Dessert servierte. Und ein 68-jähriger Rentner aus Almaty will die 20th Century Fox und Sacha Baron Cohen in Los Angeles gar auf 15 Milliarden US-Dollar verklagen – wegen Verunglimpfung des kasachischen Volkes und wegen des „Beginns eines Holocausts gegen die Kasachen“, wie örtliche Medien berichten. Die geforderte Summe, aufgeteilt auf die rund 15 Millionen Kasachen, ergäbe dann 1.000 Dollar für jeden, rechnet der Rentner vor. Und so ist die Vorgabe für die Reise klar, die Fox den Teilnehmern mit auf den Weg gegeben hat: Kasachstan bloß ja nicht so darzustellen wie im Film „Borat“.

Die Nachricht von dem klagewütigen Rentner interessiert Batyr Essenov genauso wenig wie der Film, von dem er zwar gehört, ihn aber wie die meisten Kasachen nicht gesehen hat. Nur ein einziger Filmclub in Almaty hat Borat in einer Art privater Vorführung gezeigt – und das auch nur ein Mal. Die DVD soll jedoch auch hier bald erhältlich sein. Routiniert spult Essenov sein Programm ab. Dabei wechselt er mühelos zwischen Englisch, Französisch und Spanisch. Das unwirtliche Winterwetter an diesem Tag ist nicht dazu angetan, die Gäste für die bedeutenden Sehenswürdigkeiten der 1,5-Millionen-Metropole Almaty zu erwärmen. Mühsam kämpft sich der Minibus durch die schnurgeraden, schachbrettartig angeordneten, schneebedeckten Straßen, die nachts von den grellbunten Lichterketten der zahlreichen Casinos, Bars und Restaurants erleuchtet werden. Nur die wenigsten der lang gezogenen, mitunter etwas martialisch anmutenden Gebäude haben mehr als fünf oder sechs Stockwerke. Almaty liegt in einem seismografisch gefährdeten Gebiet. Zweimal, 1887 und 1911, wurden große Teile der Stadt durch schwere Erdbeben komplett zerstört. Das setzt dem Bauwahn, der fast überall in der Stadt zu besichtigen ist, zumindest nach oben hin Grenzen.

Jedoch nicht überall. Den Platz der Unabhängigkeit beherrscht eine 28 Meter hohe Säule, auf der die Statue eines goldenen Mannes thront. Zehn im Halbrund aufgestellte Metalltafeln erzählen die Geschichte Kasachstans von den Anfängen der Besiedelung durch Turkvölker im 7. Jahrhundert bis zur Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahre 1991. Erstmals 1986 hatte sich hier die Wut über die Gängelung durch Moskau in Massenprotesten entladen, die die Regierung gewaltsam niederschlagen ließ – über die Zahl der Todesopfer gibt es bis heute keine genauen Angaben.

Zehn Jahre später schenkte der geliebte Führer aller Kasachen Nasarbajew dem Volk das phallusartige Denkmal, an dessen Fuße sein mit Gold ausgegossener Handabdruck in Stein verewigt ist. „Wer will, dass sich seine Wünsche erfüllen, soll diese Stelle berühren“, sagt Batyr Essenov. Wie er es findet, dass sich der seit 1991 amtierende Nasarbajew 2000 vom Parlament quasi zum Staatschef auf Lebenszeit machen ließ? „Aus der Politik halte ich mich heraus“, sagt der 68-Jährige. „Aber, wir lieben unseren Präsidenten.“

Die Botschaft ist angekommen und Politik offensichtlich kein Thema, wenngleich Nasarbajew im Vergleich zu seinen despotischen Amtskollegen Zentralasiens sogar noch als progressiv gilt. Wozu auch über Politik reden, wo es doch gilt, das „wahre, zivilisierte und schöne Kasachstan“ kennenzulernen.

Dessen nächstes Anschauungsobjekt befindet sich rund 30 Autominuten von Almaty entfernt und direkt im Alataugebirge, auf einer Höhe von 1.700 Metern über dem Meeresspiegel: das Eislaufstadion Medeo. Die nicht überdachte, leicht baufällige Sportstätte mit unverkennbar sozialistischem Flair in Gestalt eines überdimensionalen Eisläufers und ebenso großer Siegesparolen ist legendär. Wegen der günstigen klimatischen Bedingungen erliefen Athleten hier so manche Weltbestzeit. 2011 sollen an diesem Ort die Asiatischen Winterspiele stattfinden, auch die Winterolympiade haben die Kasachen schon vor Augen. Der Empfang am Gittertor, das ein stämmiger Wachmann versperrt, ist so frostig, wie es die Temperaturen sind. „Sie kommen hier nicht rein, wenn Sie nicht trainieren wollen“, brummt er. Batyr Essenov ist die Situation unangenehm. Nein, trainieren wollten die Besucher nicht, sondern sich umschauen und etwas für das Image von Kasachstan tun, erklärt er – erst auf Russisch und dann auf Kasachisch, das hier zwar Staatssprache ist, aber nur von wenigen Kasachen gesprochen wird. Widerwillig macht der Wachmann den Eingang frei.

Hinter dem Gitter dräut neues Ungemach. Ungläubigen Blickes verfolgt ein baumlanger Mann, der aus einem Seitengebäude des Stadions auf den Platz getreten ist, wie sich der Journalistentross, bewaffnet mit Kameras und Mikrofonen, in Richtung Eisfläche bewegt. Dort dreht ein Dutzend dick vermummter Schlittschuhläufer stoisch Runden. „Was wollen die hier?“, zischt der Stadionbeauftragte. Batyr Essenov setzt zum nächsten Erklärungsversuch an. „Wie, auch noch filmen? Wo doch heute nur so wenige Leute da sind“, keift der Riese. Wer weitere Informationen wolle, solle gefälligst morgen wiederkommen, lässt er noch wissen. Der Stadiondirektor sei schon nach Hause gegangen.

„Heiße Quelle, mit der Möglichkeit, diese auch auszuprobieren“, hatte das Programm unter der Rubrik „Ästhetische Attraktionen“ versprochen. Allerdings müsse der Besichtigungstermin noch bestätigt werden. Die Wunderquelle, rund fünf Kilometer vom Eislaufstadion entfernt, entpuppt sich als ein zerbeultes und nur schwer zugängliches Metallrohr, das aus einem Bretterverschlag ragt und aus dem sich ein dampfender Wasserstrahl in einen kleinen Bach neben der Hauptstraße ergießt. Einem holländischen Fernsehreporter entgleiten die Gesichtszüge, doch schnell gewinnt wieder der Profi die Oberhand.

Kurzerhand wird Batyr Essenov vor das Rohr und die Kamera gezerrt und aufgefordert, etwas über diesen besonderen Ort zu erzählen. „Das Wasser hat eine Temperatur von 27 Grad und eine besondere Zusammensetzung von Wasserstoff und Sulfiden. Es soll gut für die Gesundheit sein“, beginnt Essenov seinen Kurzvortrag, doch dann ist es mit der Ernsthaftigkeit vorbei. „Solche Dinger gibt es überall, das ist doch nichts Besonderes. Ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht, warum wir zu diesem gottverlassenen Ort gekommen sind.“

Die künftige Elite der Nation ist hingegen bestens präpariert. 50 Studenten der privaten Hochschule Kimep (Kazakhstan Institute of Management, Economics and Strategic Research) in Almaty sitzen fein säuberlich aufgereiht hinter ihrem Flachbildschirmen und warten auf Fragen. Natürlich haben alle „Borat“ gesehen, wenn auch auf Umwegen, wie eine Studentin kichernd erzählt. Ihr habe eine Freundin aus Deutschland eine Kopie zukommen lassen. „Auch wenn kasachische Frauen als Prostituierte beschimpft werden, habe ich diesen Film nicht persönlich genommen. Das Problem ist doch aber, dass niemand im Westen etwas über Kasachstan weiß und jetzt alle Welt glaubt, dass das Land so ist, wie es der Film ‚Borat‘ zeigt“, sagt sie.

Ein anderer Student, der die Anwesenden selbstbewusst in drei Sprachen begrüßt und offenbar einer der Wortführer ist, sieht das Ganze weniger gelassen. „Wenn Leute beleidigt werden, dann ist das kein Witz mehr. Und überhaupt! Borat wusste doch gar nichts über Kasachstan. Er hätte sich vorher informieren sollen, dann hätte er ein anderes Land gewählt.“ In erster Linie zeige der Film jedoch, wie Amerika auf die Welt blicke, und dort wüssten die Menschen über andere Länder ohnehin fast nichts. „Für mich ist der Film absolut politisch“, sagt eine perfekt geschminkte Studentin mit schwarzem Filzhut und einer tief ausgeschnittenen, pelzbesetzten Strickjacke. Die Kasachen sollten wissen, wie andere über sie denken, und deshalb den Film sehen. „Doch das muss Schritt für Schritt passieren, denn viele sind darauf noch nicht vorbereitet.“

Batyr Essenov ist erschöpft. Gerade war er mehrere Stunden mit einem spanischen Fernsehteam in Almaty unterwegs, um Interviews zu führen. „Die beiden haben doch tatsächlich die Leute gefragt, ob Frauen hier gemeinsam mit Männern öffentliche Verkehrsmittel benutzen dürfen, Juden eine Kippa und Schwule blaue Hüte tragen“, erzählt er sichtlich fassungslos. „Ob das ernst gemeint oder doch nur ein Witz war?“ Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.