Bildschirmtext-Technologie trotzt dem Internet
: Das „Minitel“ bleibt aktuell

Nebensachen aus Paris

von Rudolf Balmer

Zwischen Opas Rasierzeug mit (fast) echtem Elfenbeingriff, Atlanten aus der Vorkriegszeit und Porzellan steht auf dem Trödelmarkt eine quadratische beige-braune Box aus Hartplastik zum Verkauf. Das Kistchen lässt sich aufklappen, und zum Vorschein kommen eine Tastatur und ein Bildschirm. „Du, ist das ein Spielzeugcomputer?“, fragt ein Mädchen seine Mutter. „Nein, das ist ein Minitel“, belehrt sie ihre Tochter, „so was benutzte man, als es noch kein Internet gab.“

Das stimmt nur zur Hälfte. Ähnlich wie BTX in Deutschland wurde die Technologie für Bildschirmtext via Telefonleitung um 1980 erfunden und eingeführt. Und während danach die Computer für den Heimgebrauch noch in den Kinderschuhen und das Internet in der Testphase waren, hatte das Minitel in Frankreich Millionen von Benutzern. Ihnen standen nicht nur das elektronische Telefonbuch oder Fahrplanauskünfte und Nachrichten, sondern auch Homebankingsysteme sowie eine Unzahl von weniger seriösen Freizeit-Multimediadiensten wie Sex-Talk zur Verfügung.

Das funktionierte übrigens so gut, dass sich der Computer mit Internetanschluss in Frankreich zuerst nur zaghaft durchsetzte. Die Konkurrenz war nicht loyal, denn France Télécom gab die Minitel-Geräte kostenlos an die Kunden ab. Das erklärt den Erfolg in Frankreich.

Das Geschäftsmodell war zudem kein Problem wie beim Internet, denn die staatliche Telefongesellschaft teilte sich die Gebühren mit den Dienstanbietern. Beide Seiten verdienten so gut damit, dass sie fast den Anschluss an die moderne Netzwelt verpasst hätten. Denn den meisten Benutzern war es egal, dass die Technologie – ein Modem mit Übertragungstempo 1200/75 Baud – längst überholt war.

2000, als in den meisten Nachbarländern diese Bildschirmtexte abgeschaltet wurden, bevorzugten noch 25 Millionen Franzosen das Minitel mit seinen rund 25.000 Diensten, die über Kurznummern von 3611 bis 3618 plus Codewort kostenpflichtig Informationen lieferte!

Wer meint, das Minitel sei längst ein verstaubte Antiquität, täuscht sich. Unlängst kam eine Erhebung zu dem Ergebnis, dass in Frankreich noch rund zwei Millionen Personen das Minitel verwenden! Gerade hat die Telekomgesellschaft die Einstellung des Telefonbuchs per 3611 auf Ende des Jahres verschoben. Wer weiß: vielleicht funktioniert das Minitel noch, wenn unsere Bürocomputer zu Sammelobjekten auf dem Trödelmarkt werden?