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Archiv-Artikel

Darf man Grönemeyer hören?

Mit dem Song Bochum machte Herbert Grönemeyer seiner Heimatstadt eine Liebeserklärung, jetzt hat er sein neues Album „12“ veröffentlicht. Darf man den Mann mit dem unverkennbaren Sprechsingsang mögen und seine neue Platte kaufen?

KATHARINA HEIMEIER, 24, arbeitet bei der taz, hat fast jede Platte von Grönemeyer und steht dazu. Die Zeit, als sich die Diplom-Journalistin für ihren Musik-Geschmack schämte, ist endlich vorbei. Deshalb kann sie heute zugeben, dass sie „Wir sind Helden“ mag und im Kassettendeck ihres Autos zurzeit ein Album der Softie-Band Kettcar steckt. Ihre erste Platte: Go West, Pet Shop Boys

JA

Vor einigen Jahren habe ich Herbert Grönemeyer mal getroffen. Ich war damals Volontärin bei der Lokalzeitung. Auch der Bundespräsident muss damals dabei gewesen sein, denn der Termin war in der Villa Hammerschmidt, seinem Bonner Amtssitz. Ich glaube, es ging um ein Afrika-Projekt. Aber so genau weiß ich das nicht mehr. Woran ich mich aber noch sehr genau erinnere, ist wie freundlich zurückhaltend Grönemeyer sich gab. Fast schüchtern erkundigte er sich nach dem Weg zum Klo.

Daran musste ich denken, als ich jetzt gelesen habe, dass Grönemeyer die Band Tokio Hotel von der Spitze der Charts verdrängt hat. Denn auch die Jungs von Tokio Hotel habe ich einmal aus nächster Nähe erlebt. Ich durfte bei einer Art Charity-Gala am Nachbartisch sitzen. Mit ihnen reden durfte ich nicht. Dafür sorgten die unsympathischen Begleiter der Band. Und auch die Jungs gaben sich Mühe, einen schlechten Eindruck zu hinterlassen: Sie stierten gelangweilt ins Leere.

Ich freute mich ehrlich darüber, dass Grönemeyer diesen Mini-Rockern einen Dämpfer verpasst hatte. Für eine Zeitschrift haben sich Tokio Hotel vor kurzem mit Grönemeyer zu einer Art Interview-Gespräch getroffen. Grönemeyer hätte mit ihnen über Glaubwürdigkeit reden sollen.

Er ist einer der wenigen Musikern, denen ich glaube, was sie singen. Das Stück „Der Weg“ über seine an Krebs erkrankte Frau hat mich beim ersten Hören so berührt, dass ich weinen musste.

Kürzlich war ich zum ersten Mal im Bochumer Rewirpower-Stadion. Karten gab es nur noch für den VfL-Block. So stand ich dann in einem Mob von blau-weiß gekleideten, Fahnen schwenkenden Fußballfans, als der Stadionsprecher die Hymne ankündigte: Bochum von Herbert Grönemeyer – ein Stück aus der Zeit, als das Bochumer Stadion noch Ruhr-Stadion hieß.

„Du bist das Himmelbett für Tauben! Und ständig auf Koks! Hast im Schrebergarten deine Laube. Machst mit ‘nem Doppelpass jeden Gegner nass, du und dein VfL!“, dröhnte es durch die Lautsprecher und tausende von VfL-Fans sangen inbrünstig mit. Einen Mann, der die Seele von grölenden Fußballfans erreicht, muss man einfach mögen – und mit dem Kauf seiner neuesten Platte unterstützen. Und das, auch wenn er seinen Liedern inzwischen Titel wie „Lied 1 – Stück vom Himmel“ gibt und dazu Textzeilen wie „Die Erde ist freundlich, warum wir eigentlich nicht?“ oder „Es gibt genug für alle, es gibt viel schnelles Geld“ dichtet.

Es gibt Leute in meinem Bekanntenkreis, die sagen „Bochum“ sei der einzige Grund, Grönemeyer zu akzeptieren. Ich finde es gibt mehr.

KATHARINA HEIMEIER

NEIN

So what, Herbert hat ein neues Album und einen prägnanten Namen hat es auch: „Zwölf“. Kennt man irgendwoher: Zwölf Stunden hat die Nacht, zwölf Apostel die Bibel und „auf die zwölf“ bekamen es Grönemeyer-Fans gerne mal von den Metalfans in der Kleinstadt meiner Jugend. Dabei gibt es vor dem Klavierspieler aus „Boch-hum“ und seinem Stimmstaccato kein Entkommen. Die richtige Frage lautet also: Darf man Grönemeyer auch mal nicht hören müssen?

Wenn man, wie der geschätzte Kollege Tobias Rapp, die Knödelei des Bochumers als soulig und „große Popmusik, die vom Sound her kommt“ feiert, mag man ja offenen Ohres ins Verderben stürzen wollen. Wer jedoch einmal betrunkene Beamtensöhne „Alkohol ist das Dressing auf deinem Kopfsalat“ hat grölen sehen, bevor sie ihr abgestandenes Bier über dem T-Shirt des Gegenübers verteilen, hat für solche Projektionen nur eine beliebig oft zu reproduzierende Geste aus Zeigefinger und Stirn übrig. In den Großraum-Discos zwischen Aachen und Marsberg setzen die Wirte zur Steigerung des Bierkonsums nicht auf Herberts tiefen Soul, sondern auf seine griffigen Slogans.

CHRISTIAN WERTHSCHULTE, 29, arbeitet bei der taz und sagt: „Ich scheiß‘ auf deutsche Texte“. Deswegen mag er in seinem Wohnort Düsseldorf auch lieber Hauschka als die Toten Hosen hören. Seine erste Platte war eine Vinyl-Single von Phil Collins, den genauen Titel hat er aus den offensichtlichen Gründen mittlerweile vergessen. Von Grönemeyers neuem Album erfuhr er das erste Mal von der Titel Seite 1 der Bild.

Dabei funktionieren die Texte Grönemeyers besonders hinterhältig, wenn sie auf einfach zu lösende Probleme die falschen Antworten geben. Als „Mensch“ gerade die Charts der Republik regierte, stand ich an der Schlange im Supermarkt, vor mir ein entsetzlicher Pedant, der falsch abgewogenes Obst mokierte und die bedauernswerte Kassierin dabei entsetzlich anfuhr. Doch anstatt ihm zu sagen, dass sie sich für 7,50 Euro die Stunde von niemandem blöd anblaffen lassen muss, schließlich sei die Feudalzeit ja schon ein wenig vorbei, murmelt die lohnabhängige Kassenfrau nur leise „tut mir leid“ und tröstet sich hinterher mit einem Sinnspruch aus Herberts Bedeutungsbastelkasten: „Der Mensch ist Mensch, weil er vergisst, weil er verdrängt.“ So funktioniert das Opiumgeschäft nach der Säkularisierung.

Nun wäre gegen ein bisschen kulturindustriellen Kitsch gegen den grauen Alltag ja überhaupt nichts einzuwenden, wenn er auf Sinnangebote mal verzichten würde. Das Roland Kaiser‘sche „dich zu lieben, dich zu spüren“ mit seiner herrlich unverklausulierten Eindeutigkeit endet bei Grönemeyer aber im Mutterschoß der Volksgemeinschaft: „Du küsst so wunderbar deutsch.“

Wer selbst bei den wenigen Freuden des Lebens noch an die Nation denkt, der hat in meinem Plattenschrank nichts verloren. Ohnehin ist der Kampf gegen Grönis Weltdeutungsangebote einer gegen Windmühlen, in dem nur die absolute Taubheit hilft. Aber machen wir uns nichts vor: So wichtig ist Herbie dann wohl doch nicht.

CHRISTIAN WERTHSCHULTE