„Keine Jugendamts-Rambos“

Bis April will das Sozialressort einen Krisendienst für Kinder und Jugendliche in Not einrichten. Vorbild ist das Jugendamt Berlin-Spandau, das vor vier Jahren einen solchen Dienst eingerichtet hat

Interview: Eiken Bruhn

taz: Herr Mager, ihr Krisendienst arbeitet von acht bis 18 Uhr. Braucht es solche Angebote nicht vor allem außerhalb der Dienstzeiten? Nachts und am Wochenende?

Gerd Mager, Leiter des Jugendamtes Berlin-Spandau: Grundsätzlich ja, doch nicht unbedingt vor Ort. Die meisten Leute rufen nämlich tagsüber an. Nachbarn, die etwas beobachtet haben oder Erzieherinnen, denen ein Kind im Kindergarten aufgefallen ist. Allerdings kommen viele Anrufe erst nachmittags, selten erreicht uns eine Mitteilung vor dem späten Vormittag.

Und wer kümmert sich nachts und am Wochenende?

Dafür gibt es in Berlin einen zentralen Dienst, zum Teil in Zusammenarbeit mit freien Trägern und differenziert nach den Zielgruppen Kinder und Jugendliche sowie ein besonderes Mädchenprojekt.

Warum übernimmt die Zentrale nicht auch die Notfälle in der Woche?

Weil es vor allem bei einer so großen Stadt wie Berlin besser ist, Ortskenntnis zu haben, vielleicht auch die Familie bereits zu kennen und dadurch die gesamte Lage besser einschätzen zu können. Vor allem kann bei notwendigen Hilfen rasch auf die im Kiez durchaus vorhandenen Stützungssysteme zurückgegriffen werden.

Sind es denn bekannte Fälle, die über die Hotline an Sie heran getragen werden?

Zuweilen ja. Die allermeisten Familien, die uns gemeldet werden, kannten wir aber bis dato nicht – deshalb ist dieser Dienst ja auch so notwendig.

Und führen die Anrufer Sie zu Fällen schlimmster Verwahrlosung, wo sofort etwas passieren muss?

Ja, das kommt vor. Nicht jeden Tag ist es erforderlich, dass Kinder sofort aus der Familie geholt werden müssen, doch zuweilen erreichen uns mehrere Fälle akuter Gefährdung des Kindeswohls an einem Tag. Wir gehen jeder Meldung nach, weil eine Gefährdung am Telefon nur schwer einzuschätzen ist. Wenn jemand anruft und sagt, da steht ein Kind am Fenster und sieht so traurig aus und die Jalousien sind immer heruntergezogen, dann wissen wir erst einmal nicht, was sich dahinter verbirgt und sehen nach.

Rufen viele wegen solcher eher harmlos klingender Umstände an?

Ja. Ich bin froh darüber, dass die Menschen mittlerweile so sensibilisiert sind für das Thema. Das bedeutet natürlich, dass wir mit einer Fülle von Meldungen überschüttet werden.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Denunzianten?

Es kommt vor, dass jemand anonym anruft und sagt, „nebenan, die sind immer besoffen und die Kinder schreien“. Wir gehen dann häufig mehrmals hin, bis wir die Familie antreffen und die Vorwürfe überprüfen können. Zuweilen sind es Streitigkeiten zwischen Nachbarn oder Konflikte mit Verwandten, die zu solchen Meldungen führen. Häufig treffen wir auf eine ganz normale Familie. Was mich im Übrigen freut, ist, dass der Krisendienst im Bezirk einen guten Ruf hat, und unsere Mitarbeiter nicht als die Rambos des Jugendamtes angesehen werden.

Was macht Ihr Kinderschutz-Team, wenn sie nicht irgendwo nach dem Rechten sehen?

Langeweile kennen die nicht! Wenn Sie mit denen eine Stunde in einer Sitzung sind, dann geht das Handy bestimmt drei- oder viermal. Das führt natürlich nicht immer zu einem Einsatz. Manchmal sind es nur Professionelle wie Erzieherinnen, die einen Rat suchen. Wenn die vier nicht unterwegs sind, dann bereiten sie die Fallübergabe an die Kollegen des sozialpädagogischen Dienstes und Stellungnahmen für das Familiengericht vor oder sind an der Hilfeplanung beteiligt.

Warum können die „normalen“ Sozialarbeiter nicht rausgehen, wenn so ein Notruf kommt?

Andere Berliner Bezirke haben das so organisiert, wobei ein Berliner Bezirk demnächst unser System übernehmen will. Wir haben uns vor vier Jahren für eine Spezialisierung entschieden, weil diese hochkomplexe Arbeit, mit Eingriffen in Familien, wo manchmal mit Polizeischutz Kinder herausgeholt werden müssen und dennoch mit der Familie weitergearbeitet werden muss, sehr schwierig ist.

Dafür braucht es Erfahrung, gute Kontakte zur Polizei und umfassende Kenntnisse, gerade weil in vielen Fällen nicht sofort ersichtlich ist, was ein Kind gerade braucht: Ob es trotz Mängeln in der Familie dennoch besser ist, ihn oder sie in der Familie zu lassen. Es haben auch nicht alle Lust auf eine solch schwierige Aufgabe, bei der sie nicht um 18 Uhr nach Hause gehen können – wenn um fünf vor sechs ein Notruf kommt und die Situation erst um Mitternacht geklärt ist.