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Archiv-Artikel

„Auf einem Markt darf man nicht empfindlich sein“

DIE MARKTCHEFIN Seit mehr als 100 Jahren bieten Händler auf dem Winterfeldtplatz in Schöneberg ihre Waren feil. 2005 hat Gudrun Schaubs die Leitung des Marktes übernommen. Zusammen mit unserer Autorin sitzt sie an einem belebten Mittwoch vor dem Café auf dem Platz, das früher mal ein Toilettenhäuschen war. Händler rufen, nebenan orgelt ein Leierkasten

Gudrun Schaubs

■ 1954 in Berlin-Buch geboren. Sie wächst in Marzahn auf. Nach der zehnten Klasse macht sie eine Ausbildung zur Maschinenbauzeichnerin. Dann geht sie zur Volkspolizei und stellt auf einer Meldestelle Ausweise aus. Später arbeitet sie beim Rat des Stadtbezirks Marzahn im Bauamt. Bauanträge für Mahlsdorf, Biesdorf oder Kaulsdorf gehen über ihren Schreibtisch.

■ Nach der Wende arbeitet sie in Marzahn vertretungsweise als Marktleiterin. Ihr unterstehen zwei Wochenmärkte. Einer befindet sich auf dem Helene-Waigel-Platz. Der andere war dort, wo heute die Shoppingmall Eastgate steht.

■ 2003 fängt sie auf dem Winterfeldtmarkt in Tempelhof-Schöneberg als Springer an. 2005 übernimmt sie die Marktleitung. Markttage sind mittwochs und samstags. Den Markt gibt es seit 100 Jahren. Der Samstagsmarkt ist wegen seiner Vielfalt legendär. Die 272 Verkaufsstände sind bei Händlern heiß begehrt.

■ Schaubs hat einen Fulltimejob. Auch den Markt am Wittenbergplatz am Dienstag und Freitag betreut sie hauptamtlich. Auf anderen Märkten des Bezirks springt sie als Urlaubsvertretung ein. Den Rest der Zeit sitzt sie im Bezirksamt im Büro und macht Verwaltungsarbeit.

■ Sie wohnt in Ketzin in Brandenburg, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Ihr Mann, von Beruf Fernmeldemonteur, betreibt auf dem Winterfeldtmarkt einen Käseverkaufsstand. (plu)

INTERVIEW PLUTONIA PLARRE

taz: Frau Schaubs, vielleicht sollten wir uns einen ruhigeren Ort für das Gespräch suchen?

Gudrun Schaubs: Der Leierkastenmann hört gleich auf. Der ist der einzige Musikant, den ich auf dem Platz dulde. Erst steht er hinten am Seniorenheim, dann vorne an der Straßenecke und dann auf dem Markt. Am Ende geht er was trinken, und Rudi geht an die Orgel (lacht).

Rudi, der Blumenverkäufer, der mal von Anwohnern wegen Lärmbelästigung verklagt worden ist, weil er immer so laut schreit?

Genau der. Kurz vor Marktschluss läuft Rudi immer zu Höchstform auf: „Jedes Bund ein Fünferle“, schreit er dann. Bei manchen Kunden heißt er deshalb nur noch Fünferle. Wenn ich das Gefühl habe, jetzt wird’s zu laut, gehe ich schon mal dazwischen und sage: Rudi, jetzt mal ein bisschen leiser! Rudi sagt dann immer, er hat gar nichts gemacht, das waren die anderen. Die Gemüsehändler brüllen mitunter auch sehr laut.

Für wen ergreifen Sie im Zweifelsfall Partei – für die Anwohner oder für die Händler?

Der Markt war zuerst da. Den gibt’s seit über 100 Jahren. Die Anwohner sind erst nachgekommen. Aber wir geben uns große Mühe, dass es nicht zu Konflikten kommt.

Auf dem Winterfeldtplatz ist immer mittwochs und samstags Markt. Was unterscheidet die Tage voneinander?

Mittwochs ist der Markt kleiner und überschaubarer. Viele Berufstätige kommen zum Mittagessen, das Publikum ist ganz anders. Samstags ist es hier knackevoll. Da habe ich immer viel mehr Anfragen von Händlern, als ich Stände vergeben kann. Mittwochs habe ich zwei Fischhändler, samstags habe ich fünf. Mittwochs habe ich drei Bäcker, samstags habe ich sechse. Blumen, Schmuck – ich habe von allem an beiden Markttagen genug. Aber was Neues nehme ich immer wieder gern.

Zum Bespiel?

Ich habe eine Händlerin, die kommt immer mit Handfächern. Die kommt nur im Sommer, wenn es heiß ist. So ’ne Sachen nehme ich dann speziell rein.

Nach welche Kriterien gestalten Sie den Markt?

Die Mischung muss stimmen. Samstags habe ich eine Bioreihe – meine Biobauern. Das fängt mit Obst, Gemüse an. Auf der einen Seite versuche ich, Lebensmittel zu machen und Gewürze und Kräuter. Auf der anderen Seite habe ich Hüte, Schmuck. Es ist besser, wenn es alles ein bisschen zusammenhängender gruppiert ist. Es gibt auch eine Fischreihe. Die Bäcker und die Blumenhändler stehen ein bisschen auseinander. Die Imbisse sowieso. Manchmal muss man sich von Händlern allerdings auch trennen.

Das interessiert uns genauer.

Ich möchte, dass meine Kunden, die hier einkaufen, gut behandelt werden. Ich hatte mal Händler, die haben im Supermarkt Gemüse aufgekauft, das dort weggeschmissen werden sollte. Sie haben es dann hier auf dem Markt als Bio angeboten. Die Käufer sind so treuselig, die glauben das dann auch.

Als Marktleiterin haben Sie das Hausrecht. Wie setzen Sie das durch?

Wenn mir ein Stand nicht gefällt, sage ich: Mach dich schlau bei deinen Kollegen, wie du deinen Stand gestalten kannst. Ich gucke mir das eine Weile an, aber wenn nichts passiert, ist Pumpe.

Ende.

Schluss, aus, genau. Derjenige ist dann raus. Ich musste auch mal die Polizei holen. Die hat mir geholfen, einen Tageshändler abzuräumen. Er sollte seine Sachen einpacken, hat meine Aufforderung aber nicht befolgt. Ich möchte super Stände hier haben. Ich muss aber sagen, ich habe den Markt auch in einem Superzustand von meinem Vorgänger Ralf Regenstein übernommen. Der war hier mindestens 20 Jahre. Er ist an Krebs erkrankt und nun leider schon tot.

Wie sind Sie Marktleiterin geworden?

Ich war zunächst seine zweite Kraft in der Nachmittagsschicht. Dann bin ich hier hängen geblieben sozusagen.

Sie sind in Marzahn aufgewachsen. Was sind Sie ursprünglich von Beruf?

Ich bin Maschinenbauzeichnerin, also technische Zeichnerin. In der DDR habe ich im Wärmeanlagenbau gelernt. Dann war ich bei der Polizei, in der Meldestelle habe ich gearbeitet, Ausweise ausstellen, Ummeldungen, so was alles. Später bin ich zum Rat des Stadtbezirks Marzahn gegangen. Dort habe ich im Bauamt gearbeitet. Wer in Mahlsdorf, Biesdorf oder Kaulsdorf bauen wollte, musste zu mir kommen.

Und dann kam die Wende?

Genau. Ich war unschlüssig, was ich machen sollte. Eines Tages kam die Anfrage von meiner Chefin, ob ich nicht den Markt am Helene-Waigel-Platz betreuen will. Was muss ich denn da machen, frag ich. Sagt sie: Ist eigentlich gar nicht schlimm, die Händler wissen alle, wo sie stehen müssen. Du musst nur ’ne Quittung ausstellen und aufpassen, dass du hinterher nicht zu viel Geld in deiner Kasse hast. Kein Trinkgeld annehmen, auf Deutsch gesagt. Später habe ich noch einen Markt dazugekriegt in Marzahn – dort, wo jetzt das Eastgate ist. Beide Märkte waren Montag bis Samstag, die ganze Woche also. Weil wir in Marzahn recht wenig Geschäfte hatten.

Woher kamen damals die Händler?

Viele kamen aus dem Westteil, die wollten nun auch alles erobern im Osten. Aus der ganzen Republik. Aus Thüringen mit Teppichen aus Fabriken, die dafür keine Abnehmer mehr hatten. Die Holländer sind gekommen mit Lkws voller Blumen. Ich hatte ja Platz. Aus Hamburg ist jedes Wochenende ein Ehepaar angereist, die haben Klamotten über Klamotten verkauft – alles 5 Mark. Das wurde gut angenommen.

Wie hat es Sie nach Tempelhof- Schöneberg verschlagen?

Ich hatte diese Märkte ja nur vertretungsweise gemacht. Irgendwann hat mich meine Chefin gefragt: Hast du nicht Lust, das immer zu machen? Sie wusste, dass für den Markt am Winterfeldtplatz ein stellvertretender Marktmeister gesucht wird. Die hatten aber nur Männer und wollten wieder einen Mann haben.

Sie haben sich trotzdem beworben?

Eigentlich hat mir das widerstrebt. Ich hatte schließlich einen erlernten Beruf. Und dann stehste aufm Markt. Ich hatte immer zehn Minuten zur Arbeit, jetzt habe ich fast eine Stunde. Ich habe fast ein Vierteljahr gebraucht, bis ich da angerufen und mich vorgestellt habe. Ich habe als Springerin angefangen. Dann haben sie meine Personalakte angefordert und gesehen, dass ich selten krank bin.

Was machen Sie an Markttagen morgens als Erstes?

Mittwochs fange ich um halb sechs rum an. Samstag bin ich schon um vier hier. Das heißt früh aufstehen. Ich wohne in Ketzin. Als Erstes sammle ich den Müll vom Vorabend ein. Bei schönem Wetter wird auf dem Platz ja gern gefeiert, die Leute lassen alles stehen und liegen. Dann koche ich Kaffee für die ersten Händler, die kommen. Zwei Thermoskannen. Bevor der Aufbau beginnt, trinken wir alle Kaffee.

Das ist ja wie bei Mutti.

Och, Mutti würde ich nicht sagen. Sind ja ooch ältere Händler dabei. Ich habe hier auf dem Markt viele Freunde. Meinen 60. Geburtstag haben se alle mit mir gefeiert. Wir haben einen Raum gemietet draußen bei uns und haben eine richtige Party gemacht.

War Rudi auch da?

Natürlich.

Was sind Sie für ein Mensch?

Ich denke, ich bin eigentlich ein lustiger Typ. Auf jeden Fall darf man nicht so empfindlich sein dem Wetter gegenüber. So Rumgejaule und Rumgejammere, det gehört hier nicht hin.

Sie sprechen ziemlich schnellen Berliner Dialekt.

Ich verstecke das auch nicht, mein Berlinern. Ich rede so, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Mein Lehrer hat früher immer gesagt: Zähl ab und zu mal bis zehn, ehe du antwortest. Aber dazu komme ich gar nicht. Es muss alles immer sofort raus.

Der Winterfeldtplatz hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert. Die Mieten sind explodiert, es gibt kaum noch normale Geschäfte, dafür aber umso mehr Restaurants. Bekommen Sie von der Umgebung etwas mit?

Ich registriere nur, dass es hier auf dem Markt sonnabends gerammelt voll ist. Da sind natürlich auch viele Touristen bei, alle Sprachen sind vertreten.

Bitte beschreiben Sie doch mal Ihre Kundschaft.

Als ick hier angefangen habe, wurde mir gesagt, hier ist das Schwulen- und Lesbenviertel. Okay. Die gehören ja mittlerweile dazu. Sind auch sehr nette Leute.

An die Schwulenszene mussten Sie sich erst gewöhnen?

Zu Anfang hab ick geguckt: Hier gehen Frauen Hand in Hand. Ach ja, da war ja was: Schwulen- und Lesbenviertel. Aber jetzt ist das völlig normal. Ich finde es schon schau, wenn letztens eine Kollegin sagt: Kiek mal die Frau, hat die eine schlanke Figur. Ich sag, dass is keine Frau, das is ’n Mann (lacht). Wer das so nicht kennt, ist manchmal verdattert.

Was kommen sonst noch für Leute?

Viele Stammkunden. Die kommen auch bei Wind und Wetter. Frauen kommen plötzlich in schwarz. Was ist denn los? Mein Mann ist gestorben. Man muss auch mal ein persönliches Wort für die Leute haben. Teilweise sind da auch welche, die sich über Rudi aufregen. Gerade so Ältere, die auf ihrem Balkon in Ruhe Kaffee trinken wollen, und Rudi blökt dann hier los, dass das alles ein Fünferle und ein Zehnerle kostet.

Sie sind mit allen Händlern per du?

Meistens ja. Wenn jetzt neue Ältere kommen, sage ich erst mal Sie. Man muss ja erst mal warm werden miteinander. Aber dann merken die, wo es hier langgeht, und meistens kommt’s dann automatisch. Wenn ich den Namen nicht weiß, sag ich Schätzchen. Zu den Männern sag ich immer: Großer, komm mal her.

Auch zu kleinen Männern?

Die sind alle groß bei mir (lacht).

Untergraben Sie mit dem Du nicht Ihre Autorität?

Nö. Ich kann immer sagen, du Arschloch, wenn mir was nicht passt. Ich gehe auch dazwischen: Du spinnst wohl. Die Leute schmeißen einem ja auch manchmal Sachen an den Kopf, da muss man schlucken.

Was bringt Sie auf die Palme?

Ich ärgere mich zum Beispiel, wenn diese Bettler kommen. Rumänen, die so tun, als ob sie nicht mehr laufen können.

„Einen Laden kann man auch nicht einfach zumachen, nur weil’s zu heiß ist oder regnet“

Wie kommen Sie zu dieser Annahme?

Das haben Händler vom Markt selbst beobachtet: Die ziehen sich alle im Park hier um. Die haben die schärfsten Autos draußen zu stehen. Und kommen alle mit einem Kaffeebecher hier betteln.

Betteln ist nicht verboten. Warum lassen Sie sie nicht gewähren?

Solange sie friedlich bleiben, dulde ich die Bettler auch. Es gibt welche, die verkaufen Zeitungen vor dem Markt, das stört mich nicht. Aber es gibt Bettler, die quatschen und stupsen die Leute an. Das mag ich gar nicht. Dann gehe ich dazwischen. Ich habe auch schon die Polizei geholt. Ich hab einem auch schon mal was zu essen gekauft, das hat er dann weggeschmissen. Die wollen nur Geld haben.

Was müsste passieren, dass Sie einen Händler des Marktes verweisen?

Die Leute müssen sich dem Marktgeschehen anpassen. Auch wenn die Geschäfte nicht so gut laufen und einem das Wetter nicht passt, geht man nicht früher nach Hause. Einen Laden kann man auch nicht einfach zumachen, weil es zu heiß ist oder regnet. Es stört mich auch, wenn ständig einer seinen Müll liegen lässt. Jeder Händler, der Essen oder Getränke verkauft, ist verpflichtet, seinen Müll zurückzunehmen.

Sind Sie ein Kontrollfreak?

So würde ich mich nicht nennen (lacht). Aber ich fühle mich nicht wohl, wenn es hier drunter und drüber geht. Ich mag nicht, wenn bei einem Imbiss überall Fettspritzer sind.

Was sagen Sie dann?

Putzen! (lacht) Oder ich rufe: Haste mal ’nen Lappen, dann wisch ich dir die Tische draußen mal ab. Das stört mich auch nicht, wenn ich sehe, der hat jetzt keine Zeit rauszukommen. Ich finde es schöner, einen sauberen Markt zu haben. Ich bin auch immer hier. Ich würde mir nie erlauben, zwischendurch zum Beispiel zum Frisör zu gehen. Das würde ich nie machen.

Was wissen Sie von den Umsätzen?

Stöhnen gehört zum Handwerk, sag ich immer. War nüscht los gewesen, sagt einer zu mir an einem Tag. Am nächsten heißt es dann: So schlecht war das doch gar nicht.

Was ist eigentlich aus der hageren Bäuerin mit den langen grauen Haaren geworden, die hier viele Jahre Gemüse aus Werder verkauft hat?

Gisela. Sie ist vor zwei Jahren gestorben. Auf einmal war die weg. Wir haben uns noch mal erkundigt. Ihr soll’s nicht gut gegangen sein. Eine Kundin hat sich noch um sie gekümmert. Ich weiß nicht, ob sie finanzielle Sorgen hatte. Die wollten ihr dann wohl Geld zukommen lassen. Aber sie hat sich nicht mehr gemeldet.

Der dicke Crèpesverkäufer mit der weißen Gummischürze war nach vielen Jahren auch plötzlich weg.

Michel. Der hat sich das Leben genommen. Der ist mit seiner Krankheit nicht klargekommen, dem wollten sie wohl beide Beine abnehmen. Er wollte keinem zur Last fallen. Dass ist traurig, wenn man zu so was greift, weil es keinen Ausweg gibt.

Haben Sie mitbekommen, dass es ihm schlecht ging?

Gar nichts. Der ist immer gekommen frühmorgens mit dem Herd auf dem Fahrradanhänger. Einmal hatte er den angerührten Teig bei sich im Hausflur stehen lassen. Da kam er an und war ganz deprimiert. Ich hab allen Bescheid gesagt, dass ich mal kurz weg bin, und hab ihn mit dem Auto nach Hause gefahren. Stand aber alles noch im Hausflur. Da freut man sich auch mit.

Haben Sie ihn vermisst?

Erst wundert man sich, wann kommt er wieder? Dann fragt man mal, und dann kriegt man von irgendwoher eine Information, der ist tot. Weil wir die Marktakte von ihm hatten – er hatte überbezahlt –, haben wir das restliche Geld nach Frankreich zu seiner Mutter geschickt. Zusammen mit einem schönen Buch vom Markt hier. Da ist ein ganz tolles Bild von Michel drinne. Und alle haben unterschrieben.