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Archiv-Artikel

Bürger in Uniform – nass gemacht

Ab heute stehen 18 Bundeswehroffiziere vor Gericht, die Soldaten in Coesfeld systematisch gequält haben sollen. Kritischer Offizier: „Ein strukturelles Problem“

BERLIN taz ■ Wenn man als naiver Wehrpflichtiger seine Grundausbildung antritt, hat man womöglich Geschichten von Freunden oder Schleifer aus amerikanischen Militärstreifen im Hinterkopf. So schlimm wird es schon nicht kommen, denkt mancher. Im westfälischen Coesfeld kam es noch schlimmer.

Ein Kompaniechef und 17 seiner Unteroffiziere sollen in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne mehr als 160 Soldaten schwer misshandelt haben. Bei Nachtmärschen lockten die Quäler die Rekruten in Hinterhalte und ließen sie von vermeintlichen arabischen Terroristen in Geiselhaft nehmen.

Stiefelbeutel überm Kopf

Anschließend wurden die Rekruten laut Anklage so behandelt, wie man es offenbar von Islamisten erwartet: Mit Kabelbindern gefesselt und Stiefelbeuteln über dem Kopf wurden sie auf Lastwagen zurück in die Kaserne verfrachtet. Dort mussten sie sich im Keller vor einer Wand niederknien, wurden mit Fußtritten und Schlägen misshandelt. Die jungen Männer wurden mit Wasser bespritzt. Einigen sollen über die Kabel eines Feldfernsprechers Stromstöße im Hals-, Leisten- und Bauchbereich verpasst worden sein. Nach solch Quälerei kann sich keiner mehr als Staatsbürger in Uniform fühlen.

Ab heute stehen die Ausbilder in Münster vor Gericht. Angeklagt sind sie der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit entwürdigender Behandlung von mehr als 160 Rekruten. Insgesamt viermal sollen sie zwischen Juni und Anfang September 2004 Soldaten systematisch misshandelt haben – angeblich um das Verhalten bei Geiselnahmen und gewaltsamer Erpressung einzuüben. Ein Vorgehen, das weder durch Vorschriften noch durch Ausbildungspläne gerechtfertigt werden kann. „Unmenschlichkeit und Folter kann man nicht üben“, sagte dazu Oberstleutnant Helmuth Prieß der taz. Prieß ist im Vorstand des Darmstädter Signals, einem Zusammenschluss kritischer Offiziere. Nicht einmal von Elitesoldaten und in Vorbereitung auf Auslandseinsätze würden solche Quälereien geduldet. Es gehe für Soldaten nicht darum, so Prieß, das Unrecht am eigenen Leibe zu erfahren. Qualifizierte Psychologen sollten die jungen Leute auf mögliche Ereignisse vorbereiten.

Das Gericht nimmt sich viel Zeit, um die Vorgänge aufzudecken. Bereits jetzt sind bis Mitte Dezember 45 Verhandlungstermine angesetzt, der 8. Großen Strafkammer des Münsteraner Landgerichts steht ein Mammutprozess bevor. Zunächst sind 37 Zeugenvernehmungen geplant, bis zur Urteilsverkündung könnten es aber durchaus noch bis zu 200 werden. Mangels hinreichenden Tatverdachts in einigen Fällen hatte sich der Prozessbeginn so lange hingezogen. Im August 2006 entschied das Oberlandesgericht Hamm, die Anklage gegen alle 18 Beschuldigten in allen Punkten zuzulassen.

Psychologen zum Bund

„Es wird immer von Einzelfällen gesprochen“, sagte Prieß der taz. „Dabei ist das ein strukturelles Problem der Streitkräfte.“ Die Ausbildung müsste sehr viel liberaler sein, soziale und interkulturelle Kompetenzen sollten eine größere Rolle spielen. Auch Zivildozenten und qualifizierte Psychologen müssten die Soldaten zu mehr Nachdenklichkeit erziehen. Seit Bekanntwerden der Vorfälle habe sich wenig verändert. „Insgesamt ist kein spürbarer demokratischer und humanistischer Wind durch die Bundeswehr gezogen“, meint Prieß.

Den Rekruten unterstellt der Oberstleutnant „eine zu hohe Anpassungsbereitschaft“. Aus Sorge um die eigene Laufbahn hätten sie sich nicht gegen die Misshandlungen gewehrt. Die Soldaten müssten intensiver über ihre Rechte aufgeklärt werden, sagt Prieß und wünscht sich, dass die Öffentlichkeit erkennt, dass Gewalt und Rechtsradikalität in der Bundeswehr weit verbreitet sind. Das kann er haben: Das ZDF erstritt sich vor dem Bundesverfassungsgericht das Recht, den Prozess gegen die Soldatenschinder zu filmen.

MARTIN MÜLLER